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Johanne Schäfer: „Denkt, ich sei in Amerika!"

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Johanne Schäfer 1986.Unter den 59 Angeklagten des nach Hans Salz genannten Prozesses, der vom 11. bis 19.11.1935 vor dem Sondergericht Hamm in Wuppertal stattfand, waren zehn Frauen. Da in diesem Prozess neue Gesetze der Nationalsozialisten angewandt wurden, war das Strafmaß bedeutend höher. Auch einige Frauen erhielten mehrjährige Zuchthausstrafen. Nachstehend einige Lebensberichte, Kurzbiographien oder Briefe dieser Frauen:

Hanni Schäfer geborene Bosselmann wurde am 29.10.1899 in Remscheid geboren. Ihre Eltern kümmerten sich nicht um Politik. Der Vater war Schlosser, die Mutter Hausfrau. Hanni Schäfer ist aus eigenem Antrieb zur Politik gekommen: „1914 bin ich aus der Schule gekommen. Ich wurde in Wermelskirchen von Besitzern eines Textilgeschäftes eingestellt. Dort musste ich morgens als Hausmädchen arbeiten, und nachmittags wurde ich zur Textilverkäuferin ausgebildet. Als im August 1914 der Krieg ausbrach, musste die Bevölkerung zum Rathausplatz in Wermelskirchen zur Andacht kommen und dann wurde gesungen: ‚Wir treten zum Beten vor Gott den Allmächtigen!’ Manche Frauen weinten, weil ihre Männer eingezogen wurden. Die Besitzer des Geschäfts, in dem ich arbeitete, gaben aber ‘Gold für Eisen’ und bekamen dafür eine Nadel. Obwohl ich noch so jung war, hat mich ihre Begeisterung so entsetzt, dass ich in ihrem Geschäft kündigte. Ich habe dann bei Schürmann in Remscheid eine Lehre als Lebensmittelverkäuferin begonnen. Danach arbeitete ich im Konsum. Da war ich an der richtigen Stelle. Wir Verkäuferinnen der Konsumgenossenschaft nahmen an allen Demonstrationen der Arbeiterbewegung teil. Während meiner Tätigkeit im Konsum habe ich auch den Paul, meinen Mann kennengelernt, den ich einige Jahre darauf heiratete.

Während des Kapp-Putsches 1920 arbeitete ich in der Filiale in der Auguststraße. Meine Kollegin, die in der Haddenbacher Straße wohnte, konnte nicht mehr nach Hause, weil dort schon die Schießerei war, sie hat deshalb bei mir auf dem Rosenhügel geschlafen. Aber das war kein Schlafen. Mor­gens um 4 Uhr wurde schon wieder geschossen. Als wir beide ins Geschäft wollten, trafen wir den Fischer, einen Funktionär vom Konsum. Er sagte: ‘Heute geht ihr nicht in die Filiale, heute kocht ihr Suppe in der Mennighauser Schule!’ Ein Fahrer vom Konsum hatte große Büchsen von Cornedbeaf organisiert. Darin haben wir die Suppe für die Arbeiter, die gegen die Putschisten kämpften, gekocht. Viele Arbeiter sind zu uns zum Essen gekommen. Aber um 12 Uhr fiel der Schuß auf das Rathaus ( Arbeiter hatten mit einem Kanonenschuss den Rathausturm getroffen. Das Rathaus war bis dahin von den Putschisten besetzt gewesen). Da kam keiner mehr zum Essen. Der Rest der Suppe wurde in großen Behältern zum Ostbahnhof und ins Volkshaus gebracht. Dort wurde dann später die Suppe ausgeteilt.“

Johanne Schäfer wurde 1921 Leiterin in der Filiale der Konsumgenossenschaft in der Freiheitstraße. Im Jahre 1922 wurden wieder mehr Männer als Filialleiter statt der Frauen eingesetzt. Sie musste einen Mann noch anleiten, der ihre Filiale übernehmen sollte, und hat dann gekündigt. Ihre nächste Arbeitsstelle war Andermann an der Neustraße. Das war ein kleines jüdisches Geschäft, das mit Eiern, Butter und Käse handelte. „Dort war ich in der Zeit der Inflation 1923“, berichtet sie. „Ich bekam dort jeden Tag mein Geld. Morgens, wenn der Kurs feststand, wurde ich entlohnt. Das gab es im Konsum nicht. Herr Andermann war da sehr entgegenkommend. Von diesem Geld habe ich meine Küche kaufen können, nachdem wir geheiratet hatten.“

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