von Dr. Wilhelm R. Schmidt
Liebe Lennepfreunde,
Am Anfang der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts war am politischen Himmel ein neuer Stern aufgegangen, ein gewaltiger Geistesheros hatte die Zügel der Regierung erfasst, er hatte sich die Aufgabe gestellt, Deutschland durch eine Politik von Blut und Eisen auf die eigenen Beine zu stellen. Der dänische Krieg war der Anfang einer beispiellosen Epoche von Kämpfen gegen alle, die der Einigkeit Deutschlands widerstrebten, sie endete mit dem wieder erstandenen Deutschen Reiche nach den großartigen Siegen von 1870-1871. Im Frühling des Jahres 1864, nach der Beendigung des dänischen Krieges, war auch in Lennep ein neuer Geist erwacht, man fühlte auch dort das Herannahen einer neuen Zeit. Ein gewisser siegreicher Optimismus ergriff die Gemüter, und der Unternehmungsgeist erwachte. Die katholische Kirchengemeinde wollte eine neue Kirche erbauen, man hatte einen Bauplatz erworben am Schwelmertor, es war der Thüringsche Garten, der auf einem Hochplateau etwa fünf Meter über der Straße lag. Ein schmaler Weg führte von der jetzigen Hardtstraßenecke an der Straßenböschung hinauf zum Gartentor. Es war ein schöner herrschaftlicher Garten mit großen Bäumen, Rasenplätzen, Gemüse- und Blumenbeeten, verschiedene Naturlauben boten lauschige Sitzplätze.
Da noch nicht genügendes Baukapital vorhanden war, so wurde der Garten vorläufig an den Besitzer der oberhalb liegenden Maschinenfabrik Haas vermietet. Eine Tochter des Anmieters hatte den Apothekengehilfen F. Plöttner geheiratet, und da das Gehalt für die Gründung einer Familie nicht ausreichte, wurde eine Wirtschaft mit Bäckerei angekauft. Der Apotheker wurde Bäcker und Wirt und gründete in dem alten Lokal vor der damaligen Bürgerschule, dem späteren Bezirkskommando, das Gemütliche Hüttchen, in Dem bald ein reger Verkehr herrschte, da der frühere Apotheker es verstand, jedes Unbehagen durch ein paar Tropfen in das Likörgläschen zu beseitigen. Der Optimismus war ein Hauptcharakterzug unseres Apothekerwirts, er hatte eines Tages von den Kirchengrößen gehört, es würde noch zehn Jahre dauern, bis die Kirche erbaut werden könnte, und daher fasste er den genialen Plan, den Garten des zukünftigen Kirchenbauplatzes, der sehr schön gelegen war, zu einer Sommerwirtschaft einzurichten. Die Einrichtungen würden sich dort so gut rentieren, dass bis zum Kirchenbau ein Vermögen verdient werden könne.
Zwei befreundete junge Bautechniker, die im Gemütlichen Hüttchen verkehrten, wurden zur Ausführung des Planes gewonnen und erbauten einen kleinen Gartensaal mit Veranda und Kegelbahn, eine Theaterbühne, im Garten einen Springbrunnen und einen Scheibenschießstand. Wein- und Bierkeller sowie ein kleiner Küchenraum wurden in einer dicht neben dem Gartensalon sich hinziehenden Böschung aus Erde und Rasen von unserem eifrigen Wirt persönlich hergestellt. Diese Räume waren in sehr einfacher Weise gestaltet, sie waren kühl und gleichmäßig temperiert, so dass Speisen und Getränke sich recht gut darin aufbewahren ließen.
Mitte Juli 1864 war alles hergestellt, und die neue Gartenwirtschaft wurde unter dem Namen »Der kleine Johannisberg« eröffnet. An dem Eröffnungstage hatte die früher jährlich am Bonaventuratage stattfindende Prozession die Gemüter vorbereitet und viel Publikum aus der Umgegend herbeigeführt. Infolgedessen war der Garten am Nachmittag vollständig mit einheimischen und fremden Gästen gefüllt, es ging hoch her auf dem zukünftigen Kirchenbauplatz, und der Apothekerwirt strahlte vor Vergnügen. Er hatte unter einem großen Kirschbaum inmitten des Gartens einen Springbrunnen angelegt. Das Becken bestand aus der Hälfte eines großen Ölfasses, schön eingefasst mit Kohlenschlacken als Grottensteinen und mit Blumen. In der Spitze des Baumes war ein Wasserfass angebracht, aus dem ein dünner, doch genügend schöner Wasserstrahl in der Sonne prächtige Regenbogenfarben erzeugte. Ein Scheibenschießstand war eingerichtet worden. Zwei kleine Zündnadelbüchsen knallten den ganzen Nachmittag, und da jeder Schuss fünf Pfennige kostete, so konnte man eifrige Schützen hören, die mehrere Taler verknallten.
Aber es dauerte nicht lange, dass der Untergang des schönen Unternehmens kam, bevor die Anlagen überhaupt rentabel wurden. Die eifrigen Sammlungen der Lenneper Katholiken hatten bald so viel Geld zusammengebracht, dass im Herbst 1865 beschlossen wurde, mit dem Kirchenbau im Herbst 1866 zu beginnen, wie es dann auch geschah.
Nachdem die neue katholische Kirche errichtet war und schon einige Zeit bestand, zerbarst eines Tages mit einem Knall eines der Kirchenfenster zur Hackenberger Straße hin, und als der Pfarrer die Folgen des sogleich vermuteten Schusses näher untersuchte, entdeckte er am Altar in der hölzernen Figur eines Heiligen eine Luftgewehrkugel. Um den Urheber des Schadens zu ermitteln, verfolgte der Pfarrer nun aus der Sicht des getroffenen Heiligen den Weg der Kugel zurück und fand bald heraus, dass der Schuss im Kinderzimmer des Maschinenbauers Friedrich Haas gefallen sein musste. Bei dieser detektivischen Meisterleistung des Pfarrers half kein Leugnen, und die Täter waren entdeckt.