vonDr. Wilhelm R. Schmidt
Wenn man in Lennep von der Innenstadt her zur Panzertalsperre läuft, so geht man zumeist den Talsperrenweg hinauf, und jenseits des höchsten Punktes geht links eine Straße mit der Bezeichnung Julius-Landsberg-Straße ab. Benannt ist die Straße nach einem manchmal streitbaren Mann, eine wirkliche Persönlichkeit, der zunächst an der Kölner bzw. Hermannstraße wohnte, bevor er mit seiner Familie zu Mittelstraße, heute Rotdornallee (Nr. 24), umzog. An der Mittelstraße wohnten zu dieser Zeit überwiegend Fabrikanten und deren Direktoren sowie Leute des Öffentlichen Lebens, die sich wie der Amtsrichter Landsberg eine Etage oder ein ganzes Haus im gehobenen Stil leisten konnten. Julius Landsberg hatte beispielsweise sein Haus von dem Lenneper Kreissekretär Provinski übernommen, der auch die zweite Einheit des großzügigen Doppelhauses besaß und an einen Rittmeister vermietet hatte. Zahlreiche Bildpostkarten der damaligen Mittelstraße, z.T. mit Fernblick auf das Lenneper Freibad an der Udelschen Beek, sind erhalten und bezeugen, dass man in dieser Straße in gutbürgerlichen Verhältnissen lebte. Die Bedeutung des Lenneper Amtsrichters Julius Ferdinand Landsberg, von dessen Amtshandlungen ich in meinem Archiv noch so manche originale Niederschrift verwahre, war seinerzeit groß und reichte aufgrund seiner Schriften weit über die damalige Kreisstadt hinaus. In einem Artikel des Lenneper Kreisblatts vom 23. April 1915 wurde anlässlich seines frühen Todes hervorgehoben, dass er sich wünschte, dass Lennep ihm und seiner Familie zur dauernden Heimat werde. Dass sich dieser Wunsch nicht erfüllte, liegt auch an den Geschehnissen zwischen 1933 und 1945 in Deutschland.
Heute ist der Lenneper Amtsrichter Julius Landsberg weitgehend vergessen, aber die Älteren unter uns haben vielleicht noch seine Kinder gekannt, zumindest die, die noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg in dem Haus an der Rotdornallee wohnten. Auch ich selbst habe da noch Erinnerungen. Zum einen brachte ich in den Jahren um 1966 in der Rotdornallee als Röntgenschüler in den Ferien die Post ins Haus. Ich ging damals die Wupperstraße entlang über den untersten Teil der Leverkuser Straße auf das Grundstück von Frau Berchtenbreiter, einer Angehörigen der Familie Hardt. Damals war das gesamte Areal zwischen der Rospattstraße, Leverkuser Straße und Rotdornallee ein ziemlich verwilderter Park, heute befindet sich dort die gehobene Wohnanlage Am Hardtpark. Wenn ich die Post im Haus Leverkuser Straße 4a abgeliefert hatte, suchte ich mir meinen Weg zur Rotdornallee hinauf durch einen alten, defekten Zaun direkt zur Nr. 24, wo ich die Briefe für Landsberg manchmal auch durchs Fenster reichte.
Der Lenneper Gerichtsassessor und spätere Dienstaufsichtsführende Amtsrichter (Amtsgerichtsrat) Julius Ferdinand Landsberg (1868-1915) stammte von jüdischen Vorfahren in Rheinhessen ab. Mehrere waren Rabbiner, jedoch waren er und seine Eltern bereits um1885 aus Überzeugung zum evangelischen Glauben übergetreten. Julius Landsberg definierte sich selbst als evangelisch und preußisch. In Lennep gehörte er dem Presbyterium der evang. Kirchengemeinde an. Seine ebenfalls evangelische Frau Marie Wilhelmine geb. Hoff (Heirat 1902) entstammte einer großbürgerlichen Familie, die im Elsass u.a. mit Albert Schweitzer und der Familie Heuss-Knapp verbunden war. Marie Landsberg lebte bis zu ihrem Tod 1959 mit ihren Kindern Erika und Reinhart im Hause Rotdornallee 24, sie schrieb ausführlich Tagebuch, u.a. über die Bombentreffer am 10. März 1945 vor dem damals an mehrere Parteien vermieteten Haus und im Garten. In der Rotdornallee reihte sich damals Bombenkrater an Bombenkrater, und das Gebäude der NS-Frauenschaft, die ehemalige Villa Hermann Hardt jun, brannte lichterloh.
Julius Landsberg veröffentlichte zahlreiche Schriften, die über seine direkte juristische Zuständigkeit weit hinausgehen. Sie beschäftigen sich auch mit Jugendkriminalität, Bettelei, Landstreicherei und Armenpflege. Sie versuchten, die juristische Argumentation von der eigentlichen sozialen Wurzel her zu fassen, wirken von daher auch heute noch modern und sind über das Internet heute so gut wie alle wieder erhältlich. Von 1901 bis zu seinem unerwarteten plötzlichen Tod im Jahre 1915 war Landsberg Amtsrichter in Lennep. Zu Recht hieß es damals im Lenneper Kreisblatt: „Was er geleistet hat, sichert ihm in der Geschichte der gesamten Jugendfürsorge einen dauernden Platz“.
Als Tochter Erika Landsberg 1995 starb, ging der umfangreiche, mehrere Jahrhunderte umfassende Gesamtnachlass der Familie Landsberg, dessen früheste Zeugnisse aus dem Jahr 1733 stammen, über Umwege an das Stadtarchiv Ratingen. Im Historischen Zentrum der Stadt Remscheid befinden sich ebenfalls Nachlassmaterialien zur Familie. Im „Ratinger Forum“ aus dem Jahre 2001 legte Dr. Erika Münster-Schröer eine Zusammenfassung des Nachlasses vor, und Bastian Fleermann M.A. zeichnete den Weg des ältesten Landsbergssohns Ernst Adolf in die Emigration nach. In diesem Zusammenhang werden auch die Lebenswege der Geschwister Erika (1904-1995), Margret, später verh. Lupton (1909-2005) und Reinhart Landsberg (1911-1994) angesprochen. Alle Kinder des Amtsrichters waren danach intellektuell und musisch hochbegabt, sie gingen in Lennep zur Schule, alle absolvierten ein akademisches Studium, alle hatten in der Zeit zwischen 1933 und 1945 darunter zu leiden, dass sie laut Ahnenpass als „Mischlinge zweiten Grades“ galten. Ernst und Margret emigrierten, Ernst u.a., weil er seit 1930 mit einer Jüdin verheiratet war, Margret, weil sie nach 1935 aus rassischen Gründen nicht mehr zur akademischen Prüfung zugelassen wurde. Beide kehrten nach dem 2. Weltkrieg trotz mehrerer Besuche nicht bleibend nach Deutschland zurück. Auch Reinhart konnte wegen der Rassegesetze vom September 1935 sein Theologiestudium trotz bestandener Vorprüfungen nicht abschließen. Zeitweilig hielt er sich unerkannt in Ostpreußen auf. Er war später ein großer Sammler und Mitglied in mehreren evangelischen und sonstigen Vereinigungen. U.a. schloss er sich den Verfolgten des Naziregimes an.
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