von Dr. Wilhelm R. Schmidt
Von einer Dame in Lennep bekam ich eines Tages ein gerahmtes historisches Zeitungsblatt aus dem Jahre 1832. Sie hatte mir zuvor per Mail mitgeteilt, dass das „Bild“ aus der Wohnungsauflösung einer Freundin stamme und sie sich freue, damit noch etwas Sinnvolles anfangen zu können. Es handelte sich um eine Doppelseite des Lenneper Kreisblatts vom Mittwoch, 4. Januar 1832. Neben einem historischen Rückblick auf die „Feier des Neujahrtages“ in den europäischen Ländern, der Angabe des aktuellen Geldkurses, der Frucht- und Branntweinpreise sowie einem Hinweis auf einen Ball bei J.P. Karthaus in Radevormwald am zukünftigen Sonntag ist unter der Rubrik „Anzeigen“ vor allem eine „Empfehlung“ der Lenneper Firma E. und W. Grüderich abgedruckt. Eine Großmutter der jetzigen Erblasserin hatte, so ermittelte die Übergeberin des Objekts, um 1900 bei der Familie Grüderich in Dienst gestanden, es handelt sich also um die Erinnerung an eine Arbeitgeberfamilie im alten Lennep.
Aber wer waren diese Familie und diese Firma eigentlich? Mir und meiner Familie sind sie durchaus bekannt, und gerade in der letzten Zeit werde ich bei Lennep-Führungen des Öfteren danach gefragt. So mancher „alte“ Lenneper erinnert sich noch daran, dass in der Franz-Heinrich-Straße nahe des Stadions früher eine Lackfabrik gestanden hat, deren zwischenzeitlicher Eigentümer ein Franz Heinrich Müller war, der der Straße den Namen gab, und von dem ich noch eine Ehrenurkunde des Verbands Deutscher Lackfabrikanten aus dem Jahre 1919 verwahre.
Der Name Grüderich ist in Lennep schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts nachgewiesen. Es existieren sogar noch Fotos aus der Nachkriegszeit und aus der Abrisszeit Mitte der 1980er Jahre, auf denen teilweise das Schmelz- und Sudhaus, das Tanklager und die Fabrikation der Firma zu sehen sind. Die Familie Grüderich gehörte auch in den Umkreis der Dürholts, Haas, Lisners, Schmidts und Wenders in Lennep, der offizielle Firmensitz war lange Zeit an der Wupperstraße 11 angesiedelt, und es gibt eine Anekdote, dass ein pedantischer Firmenchef immer auf Tag und Stunde genau auf Geschäftsreise zum Bahnhof schritt und zurückkam, wegen seiner rosa Gesichtsfarbe nannte man ihn das „Röschen“.
In dem Zeitungsblatt aus dem Jahre 1832 war die Werbung der Firma Grüderich wahrscheinlich ihre allererste. Denn später, bis noch in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, warb sie damit, just im Jahre 1832 gegründet worden zu sein. „Qualität seit 125 Jahren“ hieß es später auf Rechnungsformularen.
Wie aber hatte alles begonnen? Angefangen hat es mit dem seinerzeit beliebten Prager bzw. Pressburger Schnell-Tinten-Pulver, das ein gewisser Dr. Marini erfunden hatte und das durch eine bloße Mischung mit kochendem Wasser eine sogleich brauchbare und dauerhafte Tinte lieferte. So etwas konnte man sicherlich auch gut im Kreis Lennep und darüber hinaus verkaufen, zumal das Produkt nach den Angaben der Familie Grüderich gleich mehrere positive Eigenschaften vereinigte, nämlich Güte, Bequemlichkeit und Wohlfeilheit. Zugleich empfahl die Lenneper Firma in der Zeitungsannonce damals noch ihre echte englische permanente Zeichentinte, zum Zeichnen auf Leinen, Hemden, Bett-, Handtüchern etc. Garantiert konnte diese Tinte durch Waschen und Bleichen „nicht vertilgt“ werden. Weitere Produkte waren die beliebte holländische „Bitter-Essenz sowie Material- und Farbwaren".
Schon früh also gab es Ansätze zur später kurz sogenannten „Lackfabrik“ in Lennep, die sich selbst über weite Strecken der Geschichte auch als „Chemische Fabrik“ bezeichnete. In meinen Unterlagen gibt es noch einen originalen Rechnungsbrief vom 26. August 1846 an einen Bezieher in „Cassel“ sowie Fotos aus der unmittelbaren Nachkriegszeit 1949, auf denen man das Schmelz- und Sudhaus, das Tanklager und weitere Firmenteile an der Franz-Heinrich-Straße erkennt. Auch aus dem Jahre 1984 sind noch Fotos der Gebäude überliefert. 1986 entstand dann an gleicher Stelle ein moderner Bau der Lenneper Firma „Marmor Florath“.
Es scheint in den Lenneper Familien weit verbreitet gewesen zu sein, frühe Ausgaben des Kreisblatts zu verwahren, allerdings nur, sofern darin etwas über die eigene Familie oder besonders interessierende Vorkommnisse stand. Das heutige Rotationstheater und das Rotationscafé erinnern in Lennep an der Kölner Straße 10 noch an den einstigen Druckort. Obwohl das damalige Blatt in erster Linie amtlichen Charakter hatte, fanden die Leser doch darin auch historische Betrachtungen, Anekdoten und Rätsel.