Quantcast
Channel: Waterbölles - Geschichte
Viewing all articles
Browse latest Browse all 2547

Hilfsaktion von November 1947 fand großes Echo

$
0
0

1947 erhielt Remscheid für seine 100000 Einwohner an behördlichen Zuteilungen 63 Herrenanzüge, 53 Damenunterkleider, 120 Betten, einen Küchenschrank, vier Kleiderschränke. Angesichts einer so trostlosen Versorgungslage wurde in Remscheid noch einmal der Begriff der Schicksalsgemeinschaft beschworen und eine Haussammlung veranstaltet. Dabei kamen 3213 Herrenbekleidungsstücke, 2730 Damenbekleidungsstücke, 5050 Kinder- und Babybekleidungsstücke, viel Bettwäsche, viele Schuhe und Möbel, darunter ein ganzes Schlafzimmer, zusammen. Außerdem wurden 389.315 Mark gespendet. Mit diesen Spenden konnte in nahezu 18.000 Fällen geholfen werden.
(aus: „Remscheid so wie es war 2“, von Dr. Gerd Courts, erschienen im Droste Verlag, Düsseldorf, im Jahre 1978.)

von Jürgen Breidenbach

Wenn alle gesellschaftlichen Kräfte in Remscheid ein gemeinsames Vorhaben beschließen und das auch noch mit eigenen Kräften gemeinsam ausführen, dann kann man das im Kalender anschreiben. Der 29. Oktober 1947 war den Berichten zufolge ein solcher Tag. Alle, darunter viele, die sich sonst heftig anfeindeten, wenn es um den richtigen Weg der jungen Demokratie in der Stadt ging, waren damals zähneknirschend an einen Tisch gekommen. Ein Zeichen für einen Weg aus der unvorstellbaren Not nach Gewaltherrschaft, Krieg und Zerstörung der Stadt wollten sie setzen. Die katastrophalen Zustände des Winters von 46/47 sollten sich nicht wiederholen.

Von „oben“, von den Gouverneuren für NRW in der „Bizone“, vom gerade gewählten ersten NRW Parlament, von nirgendwoher war Hilfe in Aussicht. Die neuen, noch unter strenger Aufsicht Regierenden waren noch zu sehr mit sich selbst und den Befindlichkeiten der anderen Landesteile des neuen Konstrukts NRW beschäftigt. Da klang das Motto des gemeinsamen Aufrufs von Remscheids Verwaltung, Parteien, Wirtschafts- und Arbeiterorganisationen, Kirchen und Wohlfahrtsverbänden schon fast anmaßend: „REMSCHEID HILFT SICH SELBST!“

Bemerkenswert aus heutiger Sicht ist weniger der riesige Personal- und Sachaufwand (allein 1200 städtische Mitarbeiter und ungezählte Freiwillige waren im Einsatz). Die Hilfsaktion, die im Wesentlichen aus einer großen Sammelaktion und handwerklichen Hilfen in den Notunterkünften unter den Trümmern bestand, sollte vor allem wieder Mut und Zuversicht unter den Einwohnern der Stadt erzeugen. Bemerkenswert ist auch, dass alle Beteiligten, voran die Unterzeichner des Aufrufs, von Anfang bis Ende der Aktion persönlich tatkräftig mithalfen und es nicht bei symbolischen Aktionen beließen. Es galt auch, eifersüchtige Interessen einzelner Organisationen durch ein gemeinsames Versprechen zur redlichen Verwendung der Spenden gar nicht erst aufkommen zu lassen. Und interessant ist ferner, dass Geld nicht im Mittelpunkt der Wünsche stand, denn zu dieser Zeit war mit (deutschem) Geld auf ehrliche Weise nicht viel zu holen.

Vom 16. bis 30. November 1947 startete dann nach einem Werbevorlauf mit Plakatierung an Haus- und Trümmerwänden und an den Straßenbahnen die große Aktion. An den Haupttagen vor 70 Jahren, am 21. und 22. November 1947, blieben aus diesem Grunde die städtischen Einrichtungen geschlossen. Die Aktion sollte ein großes Echo bei den Bürgern, den skeptischen bergischen Nachbarn, in der regionalen Presse und im Rundfunk finden.

Die Broschüre der Stadt, die alle an der Aktion Beteiligten ein knappes Jahr später erhielten, zeichnet den Verlauf dieses Hilfswerks bis ins Detail nach. Eine Mischung aus Dokumentation, Rechenschaftsbericht und verhaltenem Stolz. Der Herausgeber, das Amt für Wirtschaft und Ernährung, verband mit dieser Denkschrift und durch deren Versand an Partner in aller Welt geschickt Berichterstattung und Imagewerbung für Remscheid und seine langsam wieder aufkeimenden Industrie und Gewerbebetriebe.

Erst die Währungsreform im Juni 1948 und die Bildung der Trizone („Trizionesien“) brachten dann endlich auch eine solide Grundlage für neuen Mut und Zuversicht. Das war vor der Remscheider Selbsthilfeaktion aber noch nicht absehbar und ist auch eine eigene Geschichte.

(Quelle der Kopien des Aufrufs und der Logos: Broschüre der Stadt Remscheid, Hermann Hasenclever, Amt für Wirtschaft und Ernährung 1948: „Eine Stadt half sich selbst aus großer Not“)


Viewing all articles
Browse latest Browse all 2547