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Channel: Waterbölles - Geschichte
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Die Remscheider Innenstadt nach Kriegsende

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Anfang März 1945 standen die Alliierten am Rhein. Am 7. März fiel die Brücke von Remagen unzerstört in die Hände der Amerikaner. Zwei Wochen später bildeten sie bei Oppenheim ihren zweiten Brückenkopf. Die Briten hatten bei Wesel den Rheinübergang erzwungen. In breiter Front drangen die Alliierten ins nördliche Deutschland vor. Am 1. April schließlich kam es zur Bildung des Ruhrkessels. Sechs Korps der noch einigermaßen kampfkräftigen Heeres­gruppe B unter Model mit zusammen rund 340.000 Mann wurden zwischen Ruhr, Rhein und Sieg eingeschlossen. Remscheid lag mitten in diesem Kessel. Auf Schritt und Tritt war jetzt zu spüren, dass das »Tausendjährige Reich« nach etwas mehr als 4.000 Tagen seinem Ende entgegentaumelte. Die Wälder um Remscheid lagen voller Soldaten, die in dumpfer Resignation dahindämmerten, sich für ihre eisernen Rationen interessierten, für eine Zeltplane, unter der sie nächtigen konnten, und die sich die Zeit mit Kartenspielen vertrieben, Glückspielen allzumal, bei denen es um ganze Gebirge des damals schon nahezu wertlosen Geldes ging. In ihren Augen war nur noch die Hoffnung auf ein baldiges Ende.

Sofern Soldaten einquartiert waren, hatten sie eine große Leidenschaft - ihre Uniform gegen Zivilkleidung zu vertau­schen. Dieses Spiel, das einen Soldaten vor Kriegsende wegen Fahnenflucht Kopf und Kragen kosten konnte, spielten jetzt plötzlich auch die „Goldfasane“, die höheren Würdenträger der NSDAP, die so ihre Flucht in die Namenlosigkeit vorbereiteten und mit ihren Uniform- und Waffen­hinterlassenschaften noch manchen Gastgeber nach ihrem Abgang in Verlegenheit bringen sollten, dann nämlich, wenn Amerikaner bei Haussuchungen die Bewohner mit solchen Funden in Zusammenhang brachten.

Die Auflösungserscheinungen, von denen die Heeresgruppe B inmitten des Ruhrkessels erfasst wurde, hatten noch andere Facetten. Der Tauschhandel, bevorzugte Marktform der ersten Nachkriegszeit, begann. Soldaten, sofern sie über Nahrungsmittelbestände verfügten, suchten ihre Schätze in Wertbeständiges umzusetzen. Viel Schmuck wechselte die Besitzer. Hin und wieder spielten sich atavistische Szenen ab. Hungernde spannten den gleichgültig gewordenen Feld­grauen magere Pferde aus dem Geschirr von Fouragewagen aus und hieben den Tieren hinter ihren Häusern schwere Vorschlaghämmer gegen die Schädel. Das Fleisch der so getöteten Kreaturen verschwand, fast noch dampfend, in Kesseln der verschiedensten Größen. Der Selbsterhaltungs­trieb führte dazu, dass die Menschen ihre Masken fallen ließen.

In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurden aus dem Lüttringhauser Zuchthaus politische Gefangene, mit Stacheldraht an Händen und Füßen gefesselt, abtransportiert und in der Ohligser Heide ermordet. Verbrecherische Aktivitäten buchstäblich bis zur letzten Minute.

Am 17. April drückten die 1. und 9. US-Armee den Ruhrkessel ein und erzwangen die Kapitulation der Heeres­gruppe B. Schon zwei Tage vorher hatten die Amerikaner Remscheid erreicht und besetzt. Aus vielen Fenstern wehten den Siegern Bettücher als Zeichen der Aufgabe entgegen. Während sich die Fußtrup­pen misstrauisch den letzten unbeschädigten Wohnbezirken näherten, gaben dichte Rauchwolken aus den Schornsteinen den Eingeweihten Aufschluss darüber, dass sich da so manche Uniform, viele Hitler-Bilder und Sammel-Alben, Bücher überhaupt, die Nazi-Deutschland verherrlichten, in Rauch auflösten. Die Ängstlichen konnten nicht wissen, dass sie nur wenige Wochen später für solche braunen Relikte, für alles, was Hitler und Hakenkreuze zeigte, wahre kulinarische Schätze, vor allem Schokolade und Zigaretten, hätten eintau­schen können. (aus: „Remscheid so wie es war 2“, von Dr. Gerd Courts, erschienen im Droste Verlag, Düsseldorf, im Jahre 1978.)


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