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NS-Urteil bezog sich auf 'Heimtückegesetz'

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von Armin Breidenbach

Während des Zweiten Weltkriegs waren in Remscheid mehr als 10.000 ausländische „Zivilarbeiter“ und Kriegsgefangene eingesetzt, von denen nach einer Veröffentlichung des Wuppertaler Historikers Armin Schulte viele ums Leben kamen: „Sie starben an Krankheit, durch Unfall und an den Folgen von Misshandlungen. Weitere Menschen wurden vermutlich von der Gestapo und anderen Verfolgungsorganen ermordet oder kamen in Arbeits- oder Konzentrationslagern ums Leben. Und auch in den Nachkriegstagen starben in Remscheider Sammellagern noch zahlreiche Ausländer. Die meisten Ausländer wurden aufgrund der unzureichenden Schutzmöglichkeiten bei Luftangriffen getötet. […]“

Einer dieser „Zivilarbeiter“ war der Niederländer Jan (Jean) Beukema, der sich im Gegensatz zu zahlreichen anderen Fremdarbeitern freiwillig zum Arbeitseinsatz in Deutschland gemeldet hatte und 1944 politisch auffällig geworden war. Seinen Fall stellte Armin Schute in seinem 2003 veröffentlichten Buch „Zwangsarbeit in Remscheid 1939 – 1945“ näher dar:

„Am 25.5.1944 wurde beim Amtsgericht Remscheid von der Gestapo Strafanzeige gegen den Niederländer B. erstattet: ‚Nach hier wurde mitgeteilt, dass der holländische Zivilarbeiter B., beschäftigt bei den Deutschen Edelstahlwerken in Remscheid, am 10. oder 11. Mai 1944 in dem Lokal ‚Schöne Aussicht‘ in Remscheid-Hasten in gemeiner Weise über den deutschen Staat und dessen Einrichtungen geschimpft hat. Er hat u. a. gesagt: ‚Die deutschen Soldaten seien sehr brutal, die Deutschen hätten die holl. Juden alle nach Deutschland geschleppt und hier ermordet.‘ Weiter hat er von der Ermordung von engl. amerikan. Terrorfliegern durch Deutsche gesprochen.‘ Nach Aussage des Wirtes hatte der Niederländer, der zu dieser Zeit in der Hammesberger Straße 31 wohnte, bei einem seiner häufigen Besuche in der Gastwirtschaft einen Streit von Zaune gebrochen, an den Äußerungen des Niederländers habe er ‚Anstoß genommen‘. B. gestand im Verhör der Gestapo die besagten Äußerungen ein, gab aber an, vom Wirt provoziert worden zu sein, habe dieser doch alle Niederländer pauschal als Saboteure bezeichnet. Die Gestapo plädierte für eine unnachgiebige Haltung der Justiz: ‚Es ist aber anzunehmen, dass der Holländer auch bei seinen Kameraden die gleichen Redensarten führt und diese gegen das Reich aufhetzt. Wie er selbst zugibt, hat er auch mit einem jetzt flüchtigen Polen über die Ermordung der holländischen Juden gesprochen.‘ Nur einen Monat später wurde B. vom Landgericht Wuppertal zu neun Monaten Haft verurteilt. Begründet wurde das Urteil, das sich allein auf B.‘s Aussagen über die niederländischen Juden stützte, wie folgt: ‚Der Angeklagte ist danach überführt, vorsätzlich eine unwahre Behauptung öffentlich aufgestellt zu haben, die geeignet ist, das Wohl des Reiches oder das Ansehen der Reichsregierung schwer zu schädigen, indem er behauptet, die aus Holland abbeförderten Juden seien alle umgebracht worden. Damit hat er sich nach § 1 des Heimtückegesetzes strafbar gemacht. (…) Bei der Strafzumessung ist davon auszugehen, dass es sich bei der Behauptung des Angeklagten um ein ausgesprochenes Gräuelmärchen handelt, das nur zu dem offenkundigen Zweck verbreitet wird, gegen Deutschland zu hetzen und das der Angeklagte in völlig kritikloser Weise ohne irgendwelche Grundlage weiterverbreitete.‘ Strafmildernd wirkten sich jugendliches Alter, bisherige Unbescholtenheit und freiwillige Meldung nach Deutschland aus. B. wurde zunächst in Wuppertal inhaftiert und später (am 8. Dezember 1944 als Gefängnisgefangener, A. B.) nach Lüttringhausen verlegt. Ein Antrag der DEW auf vorzeitige Haftentlassung des Facharbeiters wurde abgelehnt. Am 22.2.1945 wurde er (aus dem Zuchthaus Lüttringhausen; A. B.) entlassen und der Gestapo übergeben. […].“

Damit war die Angelegenheit aber noch nicht erledigt, wie weitergehende Recherchen ergaben: Denn bereits am 23. Februar 1945 wurde Beukema vom Polizeigefängnis Remscheid aus - zusammen mit seinen Landsleuten Willem Hendrik Zeelt, Johannes L. Kautz und Theodor Lukkezen, die ebenfalls am 22. Februar 1945 aus politischen Gründen vom Zuchthaus Lüttringhausen aus in das Polizeigefängnis Remscheid eingeliefert worden waren - in das Polizeigefängnis Wuppertal überstellt.

Einige Zeit später wurden alle vier mit demselben Transport zunächst in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert; nach einer von der Politischen Abteilung des KZ Buchenwald erstellten Liste vom 24. März 1945 wurden 92 Häftlinge, darunter 36 politische, an jenem Tag dort eingeliefert. Beukema, Kautz, Lukkezen und Zeelt wurden dort als „politische Niederländer“ registriert und erhielten die Häftlingsnummern: 139051 (Jan Beukema), 139052 (Johannes L. Kautz), 139053 (Theodor Lukkezen) und 139106 (Willem Hendrik Zeelt).

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