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Unter den Nazis verging kein Feiertag ohne Flaggen

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Auch Sport stand ganz im Zeichen der Politik. Remscheid sollte sich zu einer Hochburg des Rollschuhsportes mausern. Das hatte zur Folge, dass auf den Straßen der Stadt, hier auf der Schützenstraße, emsig geübt wurde.Der gewöhnliche Faschismus hält nach 1933 auch in Remscheid seinen Einzug. Die natio­nalsozialistische Jugend, ohnehin als einzige noch zugelas­sen und auf dem Plan, beginnt mit Werbeveranstaltungen: ein Marsch durch Remscheid, ein Abend in der Stadtpark­halle mit den Eltern, indoktrinierende Reden, militärische Weisen, gespielt von der NS-Kapelle Lüttringhausen. Die Jugend wird vereinnahmt, chloroformiert, durch Uniformen und faszinierende Spiele geködert, durch eine Multiplikation des Führerprin­zips bis in die kleinsten Gruppen. Die Älteren hatten sich mit der nun bald konkurrenzlosen NSDAP auseinanderzu­setzen, hatten sich zu fragen, ob sie deren Werben widerste­hen konnten oder wollten, ob es genügte, einer ihrer sogenannten »Gliederungen« beizutreten, oder ob es ganz ohne gehen würde.

Das nationalsozialistische Erholungswerk ‚Kraft durch Freude’ vermittelte nicht nur Reisen, sondern auch Unterricht. Hier bringt Hugo Sauer ‚musikliebenden Volksgenossen’ das Akkordeonspiel bei. Foto unten: Die Propaganda des Regimes greift auch in den Alltag der Familien ein: Der ‚Eintopf-Sonntag’ bereitete vor auf eine Zeit der Entbehrungen.

Etwas mehr als zwei Wochen nach der Reichstagswahl veranstaltet Hitler zur Eröffnung des neuen Reichstags das Spektakel von Potsdam. Dort tritt er gemeinsam mit dem greisen Reichspräsidenten von Hindenburg in der Garnison­kirche vor die Öffentlichkeit, scheinbar an demokratische Gepflogenheiten angepasst, doch längst zur Verwandlung des Deutschen Reiches in eine Diktatur entschlossen. Das wird »der Tag der Nation«. Auch in Remscheid wiederFackelzüge. »Die nationale Bürgerschaft marschiert«, so vermerkt das Lokalblatt, »und spricht Treueschwüre unter nächtlichem Himmel«. Zu den Rednern des Abends gehört auch Oberbürgermeister Dr. Hartmann, der bis 1937 in seinem Amte bleiben wird, obwohl er kurz vorher noch für die Deutsche Volkspartei kandidiert hat.

Es fehlte nicht an eingängigen Symbolen in jener Zeit. Da gab es Straßensammlungen für propagandistisch nutzbare Zwecke wie Winterhilfswerk und Jugendherbergsbau. Das Eintopfessen wurde als brauchbare Demonstration deut­scher Bescheidenheit propagiert, als eine Möglichkeit, nach außen zu zeigen, welch kleine Opfer jeder für das Volks­wohl zu bringen vermöchte.

Die Nationalsozialisten erwiesen sich, darin nicht minder geschickt denn viele christliche Missionare, als Meister in der Nutzung vorgeformter Organisationen, die ihnen von der Grundhaltung her nicht schädlich werden konnten. So genierten sie sich nicht, die Mitarbeit im Roten Kreuz, einer international längst bewährten und anerkannten humanitä­ren Einrichtung, zum »nationalsozialistischen Ehrendienst« zu machen. Rote-Kreuz-Helfer, die mit Politik nichts zu tun haben wollten, sahen sich ohne ihr Zutun vereinnahmt oder vor die Alternative gestellt, auszutreten. Das wurde ihnen dann leicht als unfreundlicher Akt ausgelegt. Also unter­ließen es die meisten. Der Nationalsozialismus war bei seiner Geburt nicht anders als in seiner Endphase, was ideologische Grundierung und Ziele betraf, aber viele liefen dem neuen Tuch nach, weil sie über den scheinbar verlockenden Angeboten den mörderi­schen Pferdefuß übersahen.

Da war zum Beispiel der Lockvogel »nationalsozialistische Wohnform des deutschen Werktätigen«. Mit ihm warb die Deutsche Arbeitsfront. Sie entwickelte die Idee von der Siedlerheimstätte mit Gartenwirtschaft und Kleintierhal­tung, und jubelnd begrüßte die Remscheider Presse im Jahre 1936, dass die Deutschen Edelstahlwerke, die sich bereits auf mancherlei Gebieten, Kinderverschickung, Gefolgschafts­fürsorge, Bau der Glockenstahlkampfbahn, einen Namen erworben hätten, eine Mustersiedlung in Ehringhausen errichten wollten. Dafür wurde ein Teil des Hasencleverschen Besitztums, das waldreiche Gelände zwischen dem Kinderheim Am Ueling und Neuen- und Altenhammer, eine Fläche von 120.000 Quadratmetern, angekauft. Alles ging nach den Wünschen des Reichsheimstättenamtes: Es wurden »erbgesunde Siedler, körperlich leistungsfähig, von einwandfreiem Lebenswandel« ausgewählt, »Stammar­beiter, die sich für eine Sesshaftmachung eignen«. Die Partei traf die Auswahl. Sie regelte einfach alles, und Stück für Stück gingen die Freiheiten verloren, die menschliches Zusammenleben erst erträglich, sinnvoll machen. Die Organisation »Kraft durch Freude« bot deutschen Arbeitnehmern jetzt ein vielseitiges Reiseprogramm, zu günstigen Bedingungen. Italien, Madeira, Ägypten, das waren plötzlich erreichbare Ziele. Aber: die Reisegruppe war auch zugleich die Fessel. Das Neuartige durfte seinen Reiz und seine werblichen Wirkungen gegenüber den Be­treuten entfalten. Entfernung von der KdF-Tounstengruppe gab es nicht.

»Kraft durch Freude«, dieser Kraftquell des arbeitenden Volkes, wie das Regime es ausdrückt, macht sich auch noch in anderen Lebensbereichen bemerkbar, so beispielsweise im Sport. »Gerade die Leibesübungen«, so heißt es im »Rem­scheider General-Anzeiger«, »sind in höchstem Maße geeig­net, den Feierabend des schaffenden Menschen durch freudi­ges Erleben zu einer Quelle der Kraft und des fröhlichen Mutes für Beruf und Leben werden zu lassen.« So einen Satz lässt man sich heute auf der Zunge zergehen. Aber er war damals Ausdruck um sich greifender, nahezu gedankenloser Nachbeterei gestanzter Propagandafloskeln. Und immerhin warteten die Machthaber auch mit eindrucksvollen Zahlen auf. 1934 hatten sie im neuen Deutschland das erste Sport­amt errichtet, 1936 gab es deren schon 58. Und die trugen »den Segen der Leibesübungen« in über 500 Orte.

Auch in den Schulen vollzog sich nunmehr das Leben ausschließlich unter der Hakenkreuzfahne: Schülerchor und Schülerorchester der Pestalozzi-Schule während einer nationalsozialistischen Feier.Neben den Betrieben waren die Schulen beliebte Pflanzstät­ten für die jetzt aktuellen Ideen. Kein Feiertag verging ohne Flaggenhissung, ohne Nationalhymne und Horst-Wessel-Lied, und mochte den Schulanfängern auch der Arm, der die Fahne grüßte, schier lahm werden, der Lehrer bat sich Ausdauer aus, gleichviel ob er dies aus echter Begeisterung oder Opportunismus verlangte. Und die Lieder, die den Schülern eingebläut wurden, hatten etwas Feierndes, die sogenannte »Bewegung« wurde immer aufs Neue verherr­licht. Nicht einmal Weihnachten war vor den neuen Herren sicher. Statt »O Tannenbaum« und »O du fröhliche« sangen die Schulchöre jetzt »Berghoch am Walde ragt von der Halde morgenwärts schauend des Lebens Baum. Dämmrungumwoben harret er droben, ferne entrückt in der Zeiten Raum.« Die Schüler mussten das nicht verstehen, nur singen.

Willkommener Anlass, Betriebsgemeinschaften für die neue Bewegung zu gewinnen, waren stets die Feiertage der Arbeit am 1. Mai. Hier die Feier der Gedore-Werke im Jahre 1935 im Düringer Hof von Lüttringhausen.Die Betriebsgemeinschaften boten auch nicht mehr viel Raum für Individualismus. Wenn die Unternehmer, voll­ends führende Parteigenossen, riefen, konnte es sich der deutsche Arbeitsmann nicht leisten fernzubleiben. Die we­nigsten wollten das, denn Anlässe zum Feiern waren selten geworden und stets gesteuert. Wer sich entzog, machte sich verdächtig, sich außerhalb der Volksgemeinschaft zu stellen. So boten denn auch die Zusammenkünfte der Belegschaften großer Remscheider Unternehmen das Bild einheitlich orga­nisierter Freude mit viel braunem Dekor. Das Remscheider Vereinsleben bekam immer neue Akzente, die von nationalsozialistischer Beeinflussung zeugten. Re­naissance feierten die Kriegsvereine, in denen die Sehnsucht nach Fortführung militärischer Traditionen fortgelebt hatte, und die sich nun, da Hitler mit dem Aufbau einer starken Wehrmacht begann, bestätigt fühlten. Ohne große Beden­ken stülpten sich die Führer solcher Vereine die Haken­kreuzbinde über den Jackettärmel.

Parallel zum Aufstieg dieser martialischen Verbände verlief die Auflösung nunmehr unliebsamer Zusammenschlüsse. Ein Beispiel dafür ist das Geschick der Remscheider Frei­maurerloge »Zur Stadt auf dem Berge«. Sie war 1923 gegründet worden, 1929 aus der Groß-Loge »Zur Sonne« ausgeschieden, dann zur nationalen Mutterloge »Zu den drei Weltkugeln« übergewechselt. Die junge Loge zählte im Jahre 1930 vierunddreißig Mitglie­der. Doch 1935 war es vorbei. Die Nationalsozialisten verboten die Freimaurerei. Die Loge musste sich auflösen. Das Logenhaus, ein altes Patrizierhaus an der Elberfelder Straße, ging verloren. Die Logenbrüder aber hielten weiter zusammen, wenn auch mit der gebotenen Vorsicht. Nicht anders erging es der Lenneper Loge »Zur Bergischen Bruderkette«, die schon 1912 gegründet worden war.  (aus: „Remscheid so wie es war 2“, von Dr. Gerd Courts, erschienen im Droste Verlag, Düsseldorf, im Jahre 1978.)


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