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Als das Amtliche Mitteilungs­blatt Flugblätter ablöste

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Und dies Eckchen wirkt inmitten der Zerstörung wie eine Idylle, das Cafe Noll, eine der ersten Stätten der Gastlich¬keit, an denen Remscheider die trostlosen Kriegs- und Nachkriegsjahre vergessen konnten.Straßen und Schulen wurden nach Kriegsende umbenannt, die Adolf-Hitler-Straße hieß nun wieder Alleestraße, der Adolf-Hitler-Platz Rathausplatz, die Horst-Wessel-Straße verwandelte sich in die Hastener Straße zurück, die Hermann-Göring-Straße in Lennep war wieder eine Kölner Straße und die Albert-Leo-Schlageter-Allee in Lüttringhausen eine Linden-Allee. Nicht länger gab es eine Dietrich-Eckart-Schule (Schule Jahnplatz)  und eine Hans-Schemm-Schule (Schule Wilhelmstraße), und aus der Horst-Wessel-Schule wurde die Schule Kremenholl. Zwei Monate nach dem Einmarsch der Amerikaner war die Rentenzahlung wieder in Gang gekommen. Die Standesäm­ter hatten schon seit dem 28. April Beurkundungen vorge­nommen, darunter zahlreiche Eheschließungen verschlepp­ter Fremdarbeiter.

Einer, der zwar im Solde der braunen Machthaber stand, jedoch aus der Rückschau betrachtet Remscheid eher ge­nützt als geschadet hat, ist Ludwig Kraft, Oberbürgermei­ster vom 1. Dezember 1937 bis zum Kriegsende. Er, gebürtiger Düsseldorfer, zeigte in seinem Amt Einfühlungs­gabe und den Willen zu sachlicher Arbeit, auch wenn er sich in seinen öffentlichen Verlautbarungen dem vorherrschen­den Ton anpasste. Mehr als einmal hat er seine schützende Hand über die ihm anvertraute Stadt gehalten, wenn die Zentralstellen der NSDAP in Düsseldorf wieder einmal einen Übergriff versuchten. Ludwig Kraft hat auch persönli­chen Mut bewiesen, als er gegen Kriegsende bis zuletzt mit Georg zur Hellen auf seinem Posten blieb und den Amerika­nern die Stadt übergab. Die Besatzer hielten etwas von Kontinuität in der kommu­nalen Verwaltung und ernannten zur Hellen zum Oberbür­germeister von Remscheid. Er sollte dieses Amt bis zum 18. April 1946 innehaben und Remscheid durch das bittere erste Nachkriegsjahr führen.

Die Diktatur war dahin, aber eine neue Ordnung noch nicht erkennbar. Aufgestauter Hass machte sich Luft. Die soge­nannten Fremdarbeiter, zwangsweise nach Deutschland de­portierte ausländische Arbeitskräfte, die der deutschen Kriegswirtschaft hatten dienen und oft genug Misshandlun­gen und unglaublich schlechte Arbeitsbedingungen hatten erdulden müssen, suchten sich an ihren Peinigern zu rächen. Körperverletzungen, Plünderungen, Mord und Totschlag waren an der Tagesordnung. Der eine oder andere ehemalige Naziführer  griff  zu  Gift  oder  Pistole und entzog  sich weiterer Verantwortung. Das war in Remscheid genauso wie in anderen deutschen Städten und Regionen.

Die Versorgung der Bevölkerung mit dem Lebensnotwen­digsten war in vielen Bereichen zusammengebrochen. Wer eine Quelle in seiner Nähe wusste, freute sich, dass er nicht auf die unregelmäßig fließenden braunen Rinnsale aus seinem Wasserhahn angewiesen war. Strom gab es zuerst gar nicht, dann nur stundenweise. Mit Hilfspolizisten, die sich allein durch eine provisorische Armbinde (MP) ausweisen konnten, versuchten die Besatzer so etwas wie eine erste Ordnung zu schaffen. Oft gerieten diese Ordnungshüter, wohl weil sie die ihnen geltenden Anordnungen nicht richtig verstanden, selbst hinter Gefängnisgitter. Wer Sachwerte über den Krieg hinübergerettet hatte, befand sich nun in einer guten Ausgangsposition. Denn für den Tauschhandel, der die nächsten Jahre beherrschen sollte, war er gut gerüstet. Hamstern, Tauschen, schwarzer Markt, Sperrstunden, Wirtschaftsverbrechen, Razzien: Stichworte, von denen die erste Nachkriegszeit, eine wahrhaft magere Zeit, beherrscht war.

 

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