Die Müngstener Brücke ein technisches Wunderwerk, gestern, heute und morgen
von Prof. Dr. Horst A. Wessel, Vorsitzender des Vereins Mannesmann e.V.
Als ich neulich meinen Laptop startete, erschien als Bildschirmschutz eine Bogenbrücke mit dem Hinweis: rekordverdächtige Brücken befinden sich oft nicht in so wunderschönen Gegenden, aber dieses Meisterwerk... Dabei handelte es sich, wie ich dann erfuhr, um die Puente de Bacunayua im Norden Kubas. Sie gilt nicht allein als ein wahres Meisterwerk der Technik, sondern auch als eines der sieben Wunder der kubanischen Architektur.
Dieses 1959 fertig gestellte Brückenbauwerk ist, wie unschwer zu erkennen ist, eine Bogenbrücke. Mit einer Länge von 313,5 m und einer Höhe von 110 m sowie 16 m Breite ist sie die größte Brücke des Landes. Hinsichtlich ihrer Maße und der Konstruktion vermag die jüngere Schwester die Müngstener Brücke nicht zu übertreffen, und auch nicht, was die Schönheit der sie umgebenden Landschaft anbetrifft. Im Übrigen handelt es sich um eine Brücke aus Stahlbeton und damit um ein Bauwerk, dessen Lebenserwartung erfahrungsgemäß geringer ist als die einer gepflegten Stahlbrücke. Allerdings eins hat sie der Müngstener Brücke (noch) voraus: öffentlich genutzte Gehwege!
Die Müngstener Brücke, das Aushängeschild des Bergischen Landes, ist von der nordrhein-westfälischen Landesregierung zur Aufnahme in die Tentativliste für das UNESCO-Welterbe vorgeschlagen worden. Das erfüllt die Einwohner und Freunde des Bergischen Landes mit Freude und Stolz. Die Tourismusbranche, von der im Städtedreieck des Wupperbogens mehr als 8.500 Arbeitsplätze abhängen, rechnet dadurch zu Recht mit einer Steigerung der Attraktivität der Region und mit einer wachsenden Zahl von Tagestouristen und Urlaubsgästen. Dabei ist es zweifellos von Vorteil, die Fahrt durch die bergische Landschaft und vor allem über die Brücke zum einen als direktes, besonderes Erlebnis anzubieten und zum anderen als ebenso zweckmäßige wie angenehme Verbindung zwischen den Großstädten Remscheid und Solingen und insbesondere den vielfältigen Sehenswürdigkeiten im Wupperbogen zu nutzen.
Bei der Bewerbung zur Aufnahme in das von der UNESCO anerkannte Welterbe ist, was aus heutiger Sicht nahe liegt, vor allem die Konstruktion des Bauwerks als Großbogenbrücke, also die Ingenieursleistung, herausgestellt worden. In der Tat war und ist diese 107 m hohe und 415 m lange Großbogenbrücke ein technisches Wunderwerk. Sie war bei ihrer feierlichen Einweihung am 15. Juli 1897, das war vorgestern vor 125 Jahren, die höchste Eisenbahnbrücke der Welt und ist heute immer noch die größte in Deutschland. Die Brücke ist ein herausragendes Beispiel der damaligen Ingenieurskunst und der Architektur - und das mitten in der schönsten Natur.
Die filigrane, fast 5.000 Tonnen schwere Eisenkonstruktion wird durch 934.456 Nieten zusammengehalten einer von ihnen, der letzte, soll angeblich aus Gold sein. Einer anderen Quelle zufolge soll es sich um einen Bronzeniet mit einem vergoldeten Kopf handeln. Eine im MAN-Archiv überlieferte Niederschrift datiert diesen letzten Nietvorgang auf den 22. März 1887, den 100. Geburtstag von Kaiser Wilhelm I., den ersten Kaiser des 1871 geeinten Deutschen Reichs.
Gefunden wurde der Goldniet noch nicht. Beim Niet handelt es sich um ein vorgeformtes längliches Eisenteil mit einem Kopf, vergleichbar mit einem Nagel, jedoch ohne Spitze. Der Durchmesser ist etwas kleiner als das Nietloch in den Teilen, die miteinander verbunden werden sollen, und dessen Länge ist etwas größer als die Stärke der beiden Teile, die miteinander verbunden werden sollen.
Das Nieten war anspruchsvolle und beim Brücken- und Hochbau auch gefährliche Teamarbeit. Der Nietenheizer übernahm das Erwärmen der Nieten in einem Schmiedefeuer in möglichster Nähe der Arbeit. Der Nietenheizer holte den rotglühenden Niet mit einer Zange aus der Glut und warf ihn dem Gegenhalter zu. Dieser fing den Niet mit einem Fangeimer aus Blech auf, griff ihn mit einer Zange und steckte ihn durch das Nietloch. Da der Niet etwas kleiner im Durchmesser als das Nietloch war, konnte er leicht und ohne Stauchung hindurchgeschoben werden. Anschließend drückte er den auf dem Nietloch festsitzenden Nietkopf mit einem Werkzeug gegen das Konstruktionsteil, während auf der Gegenseite der Kopfsetzer das überstehende Ende mit einem Kugelkopfhammer zum Setzkopf verformte. Unter dessen Schlägen wurde auch der in dem Nietloch steckende Teil des Niets verdickt und das Nietloch vollständig ausgefüllt. Jeder der 934.456 Nieten der Brücke musste einzeln verarbeitet werden.
Das fachgerecht ausgeführte Nieten erforderte Erfahrung und war zeitaufwendig, bot jedoch auch die Gewähr für feste und lange Haltbarkeit. Es gab damals, bis zur Einführung moderner Schweißtechniken, keine bessere Methode, Teile von Eisenkonstruktionen sicher und haltbar mit einander zu verbinden. Genietet wurden nicht allein Brücken und Stahlhochbauten wie die Wolkenkratzer in der Neuen Welt, sondern auch Dampfkessel, Gasometer und sogar Schiffe. Nicht wenige dieser Konstruktionen beispielsweise die Müngstener Brücke oder der wenige Jahre ältere Eiffelturm sind weit mehr als 100 Jahre alt.
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