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Channel: Waterbölles - Geschichte
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Remscheider Originale: Albät, Hippekrütz und Jusewa

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Die Welt, die Jugend zumal, ist rea­listischer geworden gegen früher, „äs vir noch Blagen woaren" und die Stra­ßen mit unserem Treiben erfüllten. Ich glaube, das beobachtet zu haben, wenn ich den Kindern bei ihren Spie­len als stiller Zuschauer folge. Und so habe ich denn auch gefunden, dass die heutige Jugend, trotz ferngesteuer­ter Spielzeuge - vielleicht auch gerade darum - manches Interessante entbeh­ren muss, was sie früher mit größtem Jubel erfüllte. Ich denke da in erster Linie an einige Personen, deren Name für die Kinder ein Programm war und deren Auftauchen allein schon ge­nügte, um augenblicklich jegliches Spiel, und sei es auch das allerschönste, zu unterbrechen. Die Remscheider Originale mit ihren Eigenarten, mit ihren Reizen, von denen ich hier spreche, sind ausgestorben. Diejenigen, die vor dem Ersten Weltkrieg Kinder waren, werden sich einiger solcher Originale noch erin­nern. Da war zum Beispiel der „dolle Albät". Er war ein Orgeldreher. Aber alle anderen seines Gewerbes waren nicht mit ihm zu vergleichen, wenn auch ihr Instrument viel schöner und größer und recht bunt verziert war und die nettesten Melodien spielte. Was waren sie gegen das kleine Kästchen, das der „dolle Albät" vor der Brust trug, dessen Kurbel er mit unheimlicher Geschwindigkeit drehte und doch nur Töne erklingen ließ, die sich anhörten, als liefe eine Maus über die Tasten eines Klaviers. Selbst der größte Musikverständige hätte in der Tonreihe vergeblich nach einer Melo­die gesucht. So war es für die Kinder naheliegend, von „Albät" steif und fest zu behaupten, er habe „Müs em Orgel", eine Behauptung, die den klei­nen Mann gewaltig in Harnisch brachte, derart, dass er im höchsten Zorn mit Steinen nach seinen Kriti­kern warf.

Und es gab auch noch „dat Hippekrütz", einen Mann von großer, schlanker Statur. Wie seine Mutter, eine Pastorentochter, hat auch er viel und gern getrunken. Von ihr hatte „dat Hippekrütz", der so genannt wurde, weil er einen langen, strammen Rücken hatte, das Trinken anschei­nend geerbt. Um Geld für seinen Schnaps zu bekommen, ging er von Tür zu Tür betteln. Immer wieder stand er auf der Matte und bat um zwei Pfennig mit der Begründung, alle anderen Frauen im Hause hätten ihm auch schon etwas gegeben. Auf die stets bewusst gestellte Frage, wo er denn „dös Neit geschlopen" habe, kam immer die gleiche Antwort, die uns Kinder wohlig erschaudern ließ: „Em Liekenhus om Kerkhoff." Auf die weitere Frage: „Mensch, woarsch de dann nit te bang?", schüttelte er ungerührt den Kopf: „Nöö, die Duoden donnt merr doch nix."

Der Hervorragendste unter den Orginalen aber war unbestritten der Dippels Josua, genannt „Jusewa"über sind all diejenigen einer Meinung, die ihn gekannt oder nach Zählungen beschrieben haben,  zum Beispiel Gustav Hermann Halbach in „Bergischer Donnerkiel“. Die Eßgier des Jusewa, aber besonders seine Phantasie bleiben unübertroffen. Wenn ein Gericht, das er in irgend­einem Haushalt in Remscheid er­schnorrt hatte, zu seiner Magenfül­lung nicht reichte, dann forderte er unbefangen Nachschlag. Als er einmal an einem Samstag in der Küche eines Lasperter Feilenschmiedes einge­machtes Bohnengemüse aufgetischt bekam, sagte er nach beendeter Mahl­zeit zu der jungen Hausfrau: „Ihr kockt guot, äwwer alle oantlechen Lütt koken soderschdags Eähzen met Brotwuosch."

Jusewas Phantasie kannte keine Grenzen, wenn es darum ging, seine Leistungen von Mut und Kraft ins rechte Licht zu stellen. Tauchte er in einem Hof auf, sammelten sich schnell willige Zuhörer an, die ihn an­stachelten, über seine Taten zu berich­ten: In der Gegend von Müngsten traf der Jusewa einmal auf Fuhrleute, die, von Solingen kommend, einen „plesterschwoaren Schlippsti'en" zur Alten Wendung bringen wollten. Ob der gewaltigen Ladung konnten die Pferde jedoch die Solinger Straße nicht bewältigen; sie blieben einfach stehen. Da sagte der Jusewa: „Lotent mech es en die Kaar." Er spannte die müden Tiere aus, nahm selber die Deichsel und zog den Wagen mit Leichtigkeit bis zum Ziel. Dort entlud er den Schleifstein, steckte einen Knüppel durch das Achsenloch und trug ihn so in den Kotten hinein. Vor einem Schleiftrog setzte er ihn ab und erklärte den erstaunten Schleifern: „Hie hant gett önkern Fuustkees." (F 1902) (aus: “…aber die Jahre waren bestimmt nicht einfach. Remscheider Zeitzeugen berichten aus Kindheit und Jugend“. Von Gerd Selbach. Herausgegeben von der Volkshochschule der Stadt Remscheid 1985.)


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