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Aufzeichnungen einer rührigen Hausfrau von 1908

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Schankwirtschaft um die Jahrhundertwende 1900.Eine rührige Hausfrau, Gattin eines Werkmeisters mit ca. 2.500 Mark Jah­reseinkommen, hat 1908 einmal aufge­schrieben, welchen Betrag sie benö­tigte, um ihre dreiköpfige Familie abwechslungsreich zu beköstigen. Kosten für Kartoffeln erscheinen nicht in ihrer Aufstellung, da sie die einge­kellerten aufbrauchte. Selbstge­machte Marmelade für die Butter­brote war ebenfalls vorhanden. Wenn ihre wöchentlichen Aufwendungen für Nahrungsmittel (23,81 Mark) auf ein Jahr hochgerechnet wird, ergibt sich eine Summe von rund 1.240 Mark. Diese Ausgabe, für Lebensmittel al­leine, muss als ein stattlicher Betrag angesehen werden, gemessen an den Einkommen, das die Mehrzahl der Remscheider bezog. Vergleichs­weise hat die Familie der besagten Haus­frau, bei aller offensichtlichen Spar­samkeit, aber noch recht gut gelebt. Denn auf die 23.102 in Remscheid steuerlich veranlag­ten Personen des Jahres 1910 verteil­ten sich folgende Brutto-Jahreseinkommen:

 

Einkommen

  

in Mark

Personen

in %

bis       1 200

11.933

51,7

1 200 - 1 500

 5.151

22,3

1 500 - 1 800  

 2.601

11,3

1 800 - 3 000

 1.903

  8,2

über     3 000

 1.514

  6,5


Beim Kartoffelsetzen im Frühjahr. Als Faustregel galt, drei Zentner pro Kopf einzukellern.Die zitierte Dame, deren Akribie dieser Einblick in den Magenfahrplan und die dabei anfallenden Kosten zu verdanken ist, teilte dann noch mit: „Wenn eine Hausfrau sich das Geld nur richtig einteilt und sich jeden Pfennig aufschreibt, so wird sie bald merken, dass sie mit 100 Mark im Monat nicht nur auskommen, son­dern noch etwas übersparen kann. Gibt sie z. B. samstags Kartoffeln mit Hering, so kostet sie das Gericht nur 30 Pfennig; mit Speck und Zwiebel­sauce oder gebackene Maccaroni mit Schinken nur 75 Pfennig.“ (…)

Anschreiben lassen:„Bald jede Arbeiterfamilie, auch wenn es sie heute geniert und sie nie arm gewesen sein will, war irgendwie in irgendeinem Geschäft in der Kreide. Es konnte kein Arbeiter-Vater, wenn sein Kind konfirmiert wurde, zur Ersten Kommunion ging, sich verloben oder verheiraten wollte, ihm etwas geben. Da musste dann irgendwo - und die meisten hat­ten auch jemanden - auf Abschlag ge­kauft werden. Es gab da Karteien, in denen die wöchentliche Rückzah­lung festgelegt war. In Remscheid waren es vorwiegend jüdi­sche Geschäfte. Alles, was aus der Reihe fiel, was aber dringend sein musste, wurde auf Pump gekauft. Ich weiß noch, dass mein Vater 20 Mark Wochenlohn nach Hause brachte, wovon aber 18 Mark sofort ausgege­ben werden mussten, die schon in den verschiedenen Geschäften in den Bü­chelchen standen. Das war früher so. Vater und Mutter gingen samstagabends los und kauften 'Wenkelswaren' ein. Die offenstehenden Beträge wurden dann beglichen, die Beträge für die neue Ware kamen in die An­schreibebücher. Das war aber für nie­manden diskriminierend; das war all­gemeine Handhabe damals."

Pfandhaus Kiwa Ritter:„Wenn zu Hause mal das Geld knapp war, wurde sich was unter den Arm geschnappt, und damit ging man dann in die Bismarckstraße zum Pfandhaus Kiwa Ritter. Da wurde es versetzt. Betten, Mobiliar, die Aussteuer wurden versetzt. Wertsachen wie Uhren und Schmuck hatten wir ja keine. Es wurde dann der Sonntags­mantel oder der gute Anzug weggebracht. Das ging zum Kiwa Ritter, wo man es später wieder einlösen konnte. Das ist oft passiert. Im Haus, in dem wir wohnten, wohnte auch eine Fa­milie mit zehn Kindern. Der Vater war Schleifer. Eines Tages, als die Frau mal wieder kein Geld hatte - es handelte sich immer nur um ein paar Tage bis zur nächsten Löhnung -, brachte sie den guten schwarzen An­zug ihres Mannes zum Kiwa Ritter. Abends kam ihr Mann nach Hause und erklärte, dass er am nächsten Mor­gen mit zur Beerdigung müsse, denn ein Arbeitskollege sei gestorben. Jetzt war Holland in Not. Die Frau kam zu unserer Mutter und bat um fünf Mark. 'Derr Jul mot met derr Liek goann, on ech hann denn guoden Aantog futtgedonn'. Mit dem Geld von unserer Mutter konnte sie das gute Stück dann einlösen. Der Kiwa Ritter nahm nur gute Sachen. Un­sere Mutter hat sogar unsere Aus­steuer dorthin gebracht, wenn sie im Druck war. Sie hat sie natürlich spä­ter wieder eingelöst. Es waren ja Sa­chen, die man im Augenblick nicht un­bedingt brauchte, für die man aber Geld kriegte in dem Moment, wo Not am Mann war."

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