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Tapeten sind Zeitzeugen der Modegeschichte

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von Uwe Blass

Am 30.06.1923 wurde in Kassel das erste deutsche Tapetenmuseum eröffnet. Seit wann gibt es eigentlich schon Tapeten?
Neser: Tapeten im heutigen Verständnis kennt man wohl seit der Renaissance. Aber es gibt schon in antiken Texten den Begriff der Tapete, wobei damit aber vor allem Wandbehänge, Wandteppiche und Wanddekorationen unterschiedlicher Art bezeichnet wurden. Mich fasziniert immer wieder, dass es seit Menschengedenken das Bedürfnis gibt, die intimen Wohnbereiche auszuschmücken, denn eigentlich kann man doch schon steinzeitliche Ritzzeichnungen in dieser Art interpretieren, da hat jemand in einer dunklen Höhle seinen Innenraum gestaltet.

Prof. Dr. Annemarie Neser.  Foto: Sebastian Jarych.Was ist so besonders an Tapeten, an diesen Zeugnissen der Wohnkultur?
Neser: Tapeten sind unbestritten ein wertvolles Kulturgut und von großer Bedeutung für die Innenraumgestaltung. Sie zeigen Einblick in Privaträume und zeigen auch, wer sich manche Kostbarkeit leisten konnte oder durfte. Tapeten sind außerdem Zeugen der technischen Entwicklung. Nehmen Sie beispielsweise das für Tapeten verwendete Endlospapier, es ist ohne die Erfindung des Rundschöpfsiebs um 1830 nicht möglich, ein erster Schritt zur industriellen Produktion von Tapeten, die dann auch günstigere Preise nach sich ziehen. Betrachtet man Tapeten aus unterschiedlichen Zeiten, kann man eine Zeitreise durch die Lebens- und Wohnkulturen der Jahrhunderte unternehmen. Tapeten unterliegen wie so vieles dem Wandel der Moden der jeweiligen Zeit. Sie können Veränderungen sehr schnell aufgreifen und durch ihre Austauschbarkeit einen großen Personenkreis erreichen.

Wie sahen denn die Tapeten in der 20er und 30er Jahren aus?
Neser: Da sind wir in einer Zeit, wo Sachlichkeit und Reduktion um sich greifen. Der Ornamentreichtum des 19. Jahrhunderts verliert an Bedeutung, erfährt sogar heftige Kritik. Aus gekonnt wurde gefälscht, die Imitation gilt als unehrlich, nur das Echte hat Wert. Man kennt den Vortragstitel des Wiener Architekten Adolf Loos ´Ornament und Verbrechen`. Loos beklagte die oberflächliche ornamentale Dekoration unter dem Gesichtspunkt der verschwendeten Arbeitszeit.
Die Tapeten zeigen dann auch sachlich strenge, eher geometrische Muster oder sind unifarben; sie verbinden sich mit der Wandfläche. Einfarbige Flächenmuster gewinnen an Bedeutung. Farbharmonien bestimmten die Atmosphäre der Räume.
Die großen Sozialbauprojekte der Weimarer Republik veränderten die Einstellung zur Tapete auch im Hinblick auf die Rationalisierung im Bauwesen. Tapeten waren schneller zu verarbeiten als der handwerkliche Wandanstrich. Im großen Rahmen wurden bspw. Tapeten im Frankfurter Siedlungsbau (Neues Frankfurt) verwendet.
Die populärste Tapetenkollektion dieser Zeit war die des Bauhauses, sie kam 1929 auf den Markt mit unterschiedlichen Mustern wie Raster, Gitter oder Strichelungen. In der Grundidee ist es eine Übertragung der Oberflächenwirkung von Putz auf Papier. Die Bauhaustapete wurde von der Werkstatt für Wandmalerei unter Leitung von Hannes Scheper entwickelt und wird bis heute produziert.
Im Rückblick werden Moden oder auch Stile gern in klar voneinander abzugrenzender Abfolge dargestellt, aber eigentlich gibt es das nicht; Stile, Moden durchdringen sich immer eine gewisse Zeit bevor sie sich durchsetzen und ablösen. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts kann man daher Jugendstiltapeten etwa im Stil Henry van de Veldes, neben sachlichen, schlichtgemusterten Tapeten des Bauhauses oder den Wiener Werkstätten finden.

Welche Materialien hat man an den Wänden verarbeitet?
Neser: Wenn man durch die Geschichte geht, da gab es allerhand, etwa Ledertapeten aus der Spätrenaissance und dem Barock, dann Stoffe, wie Damast, Brokat, Samt, Seide, auch Wachstuchtapeten und dann eben Papier. Das wurde übrigens schon früher verwendet als man allgemein denkt. In der Schweiz gibt es überlieferte Papierbögen an Wänden und Decken schon aus dem 15. Jahrhundert. Aus den 1970er Jahren kennt man dann auch Korktapeten, Rattan, Pappe, alles Mögliche kam an die Wand. Heute sind Nachahmungen von Baumaterialien, wie Beton, Stein zu sehen, die Bandbreite ist also unerschöpflich.

Diese chinesische Tapete aus dem im Deutschen Tapetenmuseum in Kassel zeigt einen Trauerzug (Qianlong-Zeit, ca. 1780). Foto: Dr. Meierhofer.Viele Tapeten stießen nicht immer auf den Geschmack ihres Betrachters. Die letzten Worte des Schriftstellers Oscar Wilde, bevor er in seinem Pariser Hotel starb, waren: „Entweder geht diese scheußliche Tapete – oder ich. “ Tapeten oder auch Anstriche in Hotels oder öffentlichen Gebäuden sind heute meist einfarbig. Ist das schick oder langweilig?
Neser: Tapeten kann man wie vieles andere als Geschmacksache ansehen, vor allem, wenn die Beurteilung aus persönlicher Sicht erfolgt, wie dies der Schriftsteller Oscar Wilde getan hat, der bekannt war für seinen erlesenen Zeitgeschmack. Doch aus professioneller Sicht, geht es nicht darum, ob mir persönlich ein Anstrich oder eine Tapete besser gefällt. Vielmehr steht im Vordergrund, was man mit und im Raum bewirken möchte, also soll der Raum bspw. Ruhe ausstrahlen oder zur Aktivität anregen, wer nutzt den Raum u.v.m.  Es geht darum, für die geplante Nutzung den angemessenen Rahmen zu schaffen mit den entsprechenden Materialien. Es ist immer die Frage, in welchem Kontext gestalte ich, da geht es um eine Atmosphäre, die ich in dem Raum erzeugen möchte. Es ist eine Komposition von diversen Elementen. Z. B. die Nutzung in einem Hotel bedeutet eine stärke Abnutzung, die Räume werden intensiver beansprucht als Privaträume. Hotel- oder auch Krankenhausgestaltungen haben demzufolge vollkommen andere Ansprüche als Privathaushalte.
Nach der Schließung des Tapetenmuseums 2008 wurden die wertvollen Exponate für eine Dauerausstellung restauriert und werden ab 2025 wieder in einem 29- Millionen-Euro-Neubau des heutigen Hessischen Verwaltungsgerichtshofes gegenüber dem Landesmuseum zu besichtigen sein.

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