Am 9. November, 85 Jahre nach der Reichspogromnacht 1938, wurde der Innenhof der Remscheider Polizeiinspektion, wo auch die Gedenk- und Bildungsstätte Pferdestall beheimatet ist, feierlich in „Siegmund-Freund-Platz“ benannt. Zusatz zum Straßenschild: "Der Remscheider Siegmund Freund (1920 - 2022) wurde 1936 - weil er Jude war - vorzeitig von seiner Schule, dem Königlichen Realgymnasium (heute Emma-Herwegh-Gymnasium) verwiesen. Am 9. September 1939 wurde er in einem der Kellerräume der Remscheider Polizeiinspektion inhaftiert. In der Folge überlebte er KZ-Aufenthalte in Sachsenhausen und Auschwitz sowie zwei Todesmärsche, bevor er in der Nacht vom 4. auf den 5. Mai 1945 von den Alliierten befreit wurde. 2005 legte er die ersten Stolpersteine für seine ermordeten Eltern in der Blumenstraße nieder. In den Folgejahren besuchte er seine alte Schule und zeichnete sich in den Gesprächen und Vorträgen als Versöhner aus."
Die Reden am 9.9.2023 hat der Vereinsvorsitzende Hans Heinz Schumacher dankenswerterweise dokumentiert. Der Waterbölles zitiert daraus nachfolgend.
Redebeitrag von Ido Mandelbaum, Sohn von Hans Mandelbaum,
dem es noch rechtzeitig gelungen war, nach Palästina auszuwandern.
Siegmund Freund |
Mein Vater wurde 1924 in Remscheid geboren. Seine Eltern hatten nach der Emigration aus Polen hier eine neue Heimat für ihn und seine sieben Geschwister gefunden. Als Familie, die ihren jüdischen Charakter beibehielt, wurden sie zu einem integralen Teil der hiesigen Gemeinschaft. Doch all diese Bemühungen wurden mit dem Aufkommen der Nationalsozialisten zunichte gemacht. Stück für Stück distanzierten sich die nicht-jüdischen Freunde von ihm, physische Gewalt gehörten zum Alltagsleben, und Erniedrigungen wiederholten sich ständig. Er wurde in die letzte Reihe seiner Schulklasse verwiesen und später durfte er überhaupt nicht mehr zur Schule gehen. Dies alles geschah, als er gerade mal neun Jahre alt war. Die Umstände wurden immer schlimmer, wie auch die Erniedrigungen und die Einschränkungen des Alltagslebens. Mit dem November 1938, genauer mit dem 9. November, bekannt als "Kristallnacht", als der von den Nazis initiierte Mob die Synagogen angriff, sie zerstörte, plünderte und abbrannte, wurde eine klare Nachricht an die Juden geschickt: Ihr seid hier nicht mehr willkommen. Glücklicherweise erkannten mein Vater und seine Mutter die Zeichen der Zeit (da sein Vater schon nach Polen ausgewiesen worden war) und entschieden sich wegzugehen - auf eine lange Reise nach Israel. Das rettete ihr Leben. Leider entschloss sich seine Schwester mit ihrem Mann, in Amsterdam zu bleiben, von wo sie später nach Auschwitz deportiert und ermordet wurde. Die "Kristallnacht" war nur ein Vorbote für das, was noch kommen sollte – der 2. Weltkrieg. Es brauchte Jahre, bis die ganze Welt realisierte, dass das, was gegen die Juden gerichtet war, nicht damit endete, sich ausweitete und so viel Blutvergießen nach sich zog, bis das Nazi-Regime gestürzt werden konnte. Jahre später wurde 1948 der Staat Israel gegründet als staatliche Heimstätte für Juden aus aller Welt, mit dem Versprechen auf Sicherheit und als Schutz vor ähnlichen Geschehnissen wie der "Kristallnacht" und dem Holocaust und als Teil des Versprechens „Nie wieder!“
(Fortsetzung 2. Seite)
"“Nie wieder” darf nicht zur Worthülse werden" vollständig lesen