von Uwe Blas
Ist die Demokratie am Ende? Obwohl sich erst seit dem Zweiten Weltkrieg die Vorstellung der meisten Vertreter von Eliten, dass das gemeine Volk in staatspolitische Entscheidungen eingebunden werden müsse, gebildet hat und sich seither praktisch alle Regierungen als Repräsentanten des Volkes verstehen, driften mehr und mehr Demokratien in Autokratien ab. Das liege daran, erklärt Professor Detlef Sack **), Politikwissenschaftler an der Bergischen Universität, dass es unterschiedliche politische Eliten gebe, die Bündnisse mit je unterschiedlichen Teilen der Bevölkerung eingingen. „Das kann man sich am Beispiel sowohl von Putin, als auch von Trump, Duterte oder Bolsonaro sehr schön ansehen“, fährt er fort. „Da geht es im Grunde genommen um Eliten, die nicht zum Establishment der alten demokratischen Elite gehören, die ökonomisch relativ stark sind, sich aber kulturell von den vorherigen Eliten entfernt haben. Und die wiederum gehen – das ist Teil des Populismus, das ist Teil von Fake News und auch Teil von Social Media – ein Bündnis mit den Teilen der Gesellschaft ein, die selber ökonomisch und kulturell verunsichert sind bzw. denen es schlecht geht, die aber auch bisherige Privilegien bedroht sehen. Die sind kulturell tatsächlich politisch unzufrieden und treten eher maskulin und mehrheitsentscheidend auf.“
Diese Elite lässt sozusagen die alte Vorstellung wieder aufleben, nach der das Volk zu einfältig sei und demnach nicht in staatspolitische Entscheidungen eingebunden werden könne. Sie nutzen die scheinbare Nichtentscheidungs- und Nichtregierungsfähigkeit verunsicherter Bürger*innen heute, um autokratische Politik durchzusetzen, sagt der Fachmann. „Victor Orbán wäre ein modernes Beispiel.“ Doch so neu sei diese Idee gar nicht, erklärt Professor Sack. Wenn man sich ansehen wolle, wie der Unterschied zwischen Bevölkerung gedacht wurde, könne man in der Aufklärung bereits fündig werden. Der Journalist Georg Forster schrieb 1790 in dem Buch „Ansichten vom Niederrhein“ über seine Reise von Düsseldorf nach Köln. Darin beschreibt er die linksrheinische Stadt als aufklärerischen, reinen Ort, während die rechtsrheinische Stadt seiner Meinung nach durch den katholischen Pöbel und Plebs bestimmt werde. Schon da habe man diese unterschiedlichen Vorstellungen von ‚dem Volk‘ gehabt.
70 % der Weltbevölkerung leben in Autokratien
Formal hat sich die Zahl der demokratischen Staaten weltweit erhöht; doch in der Praxis wandeln sich viele zu heimlichen Autokratien, wie eine Studie der Bertelsmann Stiftung ergab. „Die Politikwissenschaft hat bestimmte Kriterien für Herrschaftssysteme“, sagt der Fachmann, „und da kann man sagen, dass annähernd 70 % der Weltbevölkerung mittlerweile in Regimen leben, die autokratisch sind. Das ist ein deutlicher Wandel.“ Das liege u.a. daran, dass etablierte Demokratien auch bestimmte Schwächen mit sich brächten. „Dazu gehört die fehlende Repräsentation von Bevölkerung in Parlamenten. Dazu zählt, dass politische Verantwortung immer mehr in transnationale, supranationale Institutionen übergeben wird. Die Europäische Union ist ein sehr gutes Beispiel dafür.“ So werden Fragen zum Klimaschutzabkommen dem Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) übergeben, der dann die Deutungshoheit habe; so werde das Thema aus der Demokratie herausgelöst. „Darüber kann die Bevölkerung gar nicht mehr mitbestimmen!“ Das verändere die Gremien im transnationalen Raum, bedeute aber eine Negativtendenz, wodurch politische Verantwortung nicht mehr sichtbar sei. Das Argument, alles sei so komplex, helfe an dieser Stelle niemandem und sei darüber hinaus auch nicht demokratisch. Und neben diesen beiden Schwächen komme dann noch erschwerend die angesprochene Elitenspaltung dazu, von denen ein Teil nicht mehr bereit sei, mit Demokratien zu regieren. Warum? „Demokratie hat bestimmte Versprechen nicht einhalten können.“
Das liegt nach Einschätzung Sacks an doppelten Standards. „Das klassische Beispiel sind natürlich militärische Interventionen von Deutschland und den USA in Regionen der Welt, in denen sie eigentlich nichts zu suchen haben. Sie fordern von den Menschen dort ein friedliches Verhalten, während sie mit Militär dort anrücken“, erklärt er. „Der nächste doppelte Standard wäre dann die Frage: Wieviel soziale Ungerechtigkeit leiste ich mir in einem politischen System und halte den Standard sozialer Gerechtigkeit hoch, den ich aber im eigenen Land nur unvollständig erfüllen kann.“ Da gehe es auch um Erwartungen, die sich in einem Demokratisierungsprozess entwickelt hätten. „Kämen wir aus einer Phase der Autokratisierung, hätten wir nicht die Erwartung, dass hier soziale Ungleichheit herrsche, dann würden wir akzeptieren, dass es arme und reiche Leute gibt.“ Das sehe man sehr deutlich an der russischen Autokratie, da gebe es eine andere Einstellung, Erwartung und auch Akzeptanz von sozialer Ungleichheit. „Demokratien haben Erwartungen geweckt, und diese Erwartungen können sie nicht vollumfänglich erfüllen.“
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