von Max Eulenhöfer
Wer sich heute in die Eisenbahn setzt, um „mal eben" nach Düsseldorf oder Wuppertal zu fahren, plaudernd oder die Landschaft betrachtend vorbeifliegen lässt, macht sich wohl keine Gedanken mehr darüber, welchen Kampf das bergische Völkchen in den vergangenen Jahrhunderten um Wege, Straßen, Postkutschen und Eisenbahnen führte, um den Anschluss an weltweite Räume zu gewinnen. Wir können die Leistung unserer Vorfahren eigentlich erst richtig werten, wenn wir die schwierigen Begleitumstände der glänzenden, industriellen Entwicklung kennen.
Mit der rastlosen Betriebsamkeit in Hämmern, Schmieden und Hausstuben allein war es noch nicht geschafft, denn es galt außerdem, die Ware an den Käufer zu bringen. So führten bereits im 13. Jahrhundert die Wege weit zum Westen über den Rhein nach den Niederlanden und Nordfrankreich. Solange wenigstens die notwendigsten Rohstoffe, Eisen und Holz, aus dem eigenen Raum kamen, erschienen die Verkehrsprobleme nicht unüberwindlich. Allmählich aber zeigte sich, dass die Eisenvorkommen zu spärlich waren und den Bedarf bei weitem nicht deckten. Außerdem waren zu Beginn des 18. Jahrhunderts unsere Wälder an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angelangt. Weitere Ausnutzung hätte vollkommenen Kahlschlag bedeutet. Bestätigt werden diese Umstände durch eine behördliche Verfügung zu Beginn des 18. Jahrhunderts, die die weitere Einrichtung von Hämmern von der Verpflichtung der Steinkohlefeuerung abhängig machte. Eindrucksvoll berichtet W. Engels über diese Probleme in seiner Schrift: „Mittelalterliche Verkehrswege und neuzeitlicher Straßenbau im Remscheider Gebiet und seiner Umgebung."
Wir können uns heute kaum noch vorstellen, was es heißt, wenn bereits 1791 etwa 6000 t Eisen auf Pferdefuhrwerken über unausgebaute Höhenwege aus dem Siegerlande herangeschafft werden mussten. Noch jetzt sind die Spuren dieser „Eisenstraßen" tief in die Landschaft eingeschnitten, so dass man sie zeitweise mit Landwehren verwechselte. Unvorstellbar waren die Anstrengungen für Mensch und Tier. Grundloses Gelände, ausgefahrene Hohlwege, Schnee und Eis, Vorspannkosten, Wegegelder, Zollsperren, Übernachtungen, enorme Fuhrlöhne -- das alles waren Widerstände, die überwunden werden mussten, ehe in den Hämmern mit der Arbeit begonnen werden konnte. Verständlich, dass bei solchen Voraussetzungen ein Konkurrenzkampf mit günstiger gelegenen Industrien fast aussichtslos erschien.
Die gleiche Mühe gab es bei der Heranschaffung der notwendigen Kohle. Auf Tragtieren schleppte man die schwarzen Diamanten in Säcken von 2 bis 3 Zentnern über Berg und Tal von den nächsten Zechen. Welchen Fortschritt hätte es im ausgehenden 18. Jahrhundert schon bedeutet, wenn man wenigstens per Achse hätte fahren können! Die Wege ließen es jedoch bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts kaum zu. 200.000 bis 300.000 Taler zuviel kostete angeblich die Kohle durch diese Umstände. Erst die nächsten Jahrzehnte brachten den Remscheidern verkehrsmäßig den Wegeanschluss, während die anderen Industriegebiete bereits eine höhere Stufe der Verkehrstechnik, die Eisenbahn, erklommen. Trotzdem hatten die Remscheider Kaufleute den europäischen Markt bereits erschlossen und außerdem in Amerika und Asien Fuß gefasst. Betrug doch der Umsatz nach groben Schätzungen um 1805 schon über sieben Millionen Taler.
Der Reisende war lange Zeit auf Schusters Rappen oder auf sein eigenes Gefährt angewiesen. Unwegsames Gelände und die Unsicherheit allerorten machten jedenfalls das Reisen zu einer Qual. Erst um 1820 nimmt sich die Postkutsche der Reisenden an, dreispännig wird gefahren. Zwischen Köln und Elberfeld werden bald „Eilwagen" eingesetzt, die es mit acht Personen schaffen. 1843 führen (nach Engels) bereits neun Postlinien durch Lennep und bringen damit den Anschluss an die erstandenen Eisenbahnlinien.
In dieser Zeit fehlt aber im engeren Gebiet, beispielsweise zwischen Remscheid und Müngsten, noch immer eine annehmbare Straße, und auch mit den Brücken hapert es. So kämpfte man um eine steinerne Brücke bei Müngsten bis 1850. Wenn man diese Zusammenhänge kennt, kann man ermessen, was die Eröffnung der ersten Remscheider Eisenbahnlinie nach Barmen-Rittershausen am 1.9.1868 bedeutete. Damit war erstmalig der Anschluss an die große Welt gewonnen. Doch stärker noch richteten sich die Blicke der Bergischen nach Westen. In der Eisenbahnverbindung mit dem Rhein gipfelten alle verkehrstechnischen Träume, und schon 1845 arbeitete der Reinshagener Lehrer Joh. Heinr. Voßnack den Plan aus, das Tal der Wupper bei Müngsten zu überbrücken. Er ist also der geniale Schöpfer einer Idee, die erst 50 Jahre später realisiert werden konnte. Bittschriften, Forderungen, Proteste und in starkem Maße den eigenen Geldbeutel setzte der Remscheider ein, um mit Wegen, Straßen, Postkutschen und Eisenbahnen den Anschluss an die großen Straßen zu gewinnen. Es gelang, wenn auch verhältnismäßig spät. Oft war man eben auf die Einsicht der Verwaltungen und der Landesherren angewiesen und konnte nicht aus eigener Initiative die Wünsche erfüllen. Endlich geriet auch „der Zug nach Westen". 1897 vollendete man die Riesenbrücke. Der Bau wurde weit über die Grenzen Remscheids zu dem Ereignis des ausgehenden 19. Jahrhunderts. (aus: „Remscheider Bilderbogen“ von Max Eulenhöfer aus dem Jahre 1950)