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Lenneper Posthalterei hatte Ställe für 44 Pferde

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Das Hotel ‚Berliner Hof’ in der Kaiserzeit am Anfang der Poststraße. Bildsammlung Schmidt von Dr. Wilhelm R. Schmidt

Vor einigen Jahren las ich die Rätselfrage, wo denn in Remscheid der „Berliner Hof“ gelegen sei, wohin die Lenneper Post im Zuge einer Evakuierung aus dem zerfallsbedrohten Gebäude gegenüber dem Bahnhof 1960 hatte umziehen müssen. Die Post am Lenneper Bahnhof, wo doch die an den Mollplatz angrenzende Straße Poststraße heißt? In der Tat ist das Areal am Mollplatz mit der Lenneper Postgeschichte sehr verbunden. Auch das weiß wahrscheinlich auch kaum noch jemand. Also beschäftigen wir uns einmal mit der Historie dieses Areals.

Natürlich musste die  Antwort auf die oben wiedergegebene Frage lauten: Der „Berliner Hof“ liegt heute am Mollplatz. Aber das war nicht immer so. Denn er ist viel älter als die Bezeichnung Mollplatz. Ein Teil des Gebäudes steht wohl auf den Fundamenten der ehemaligen Lenneper Stadtmauer, die gegen Ende des 18. Jahrhundert bis zu den sog. Freiheitskriegen (1813-1815) nach und nach beseitigt wurde, weil die Stadt Lennep immer größer wurde und eine mittelalterliche Stadtmauer funktionslos geworden war.

Blick - um 1910 - vom Mollplatz auf das alte Postareal links und rechts der heutigen Lüttringhauser Straße. Bildsammmlung Schmidt Der Mollplatz hieß zuvor Kaiserplatz, aber auch als es Ende des 19.Jahrhunderts zu dieser Bezeichnung kam und 1889 das Kaiserdenkmal am Anfang des Thüringsbergs erbaut wurde, war das Hotel schon da, und Teile davon wurden auch schon im 19. Jahrhundert durch die Postverwaltung genutzt. Nicht umsonst heißt die Straße, an deren Beginn 1960 Teile des Berliner Hofs zu einer behelfsmäßigen Poststation umgebaut wurden, Poststraße. Diese war im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts als neue Poststraße (die alte war der heutige Gänsemarkt) zur Entlastung und Umgehung der Altstadt begonnen worden, und sie entwickelte sich mit der Verlängerung über das Lüttringhauser Tor (später Kaiser- und dann Mollplatz) mit dem Thüringsberg ( früher Alleestraße bzw. Hindenburgwall) zur einer vornehmen Meile, an der die Mächtigen der Tuchindustrie ihre repräsentativen Geschäftshäuser und Villen bauten.

In Lennep erzählte man sich über die Geschichte des Berliner Hofs folgendes: Das Hotel oder wenigstens eines seiner Vorgebäude wurde nach dem Stadtbrand des Jahres 1746 oder kurze Zeit später erbaut. Der Erbauer soll der zu jener Zeit geschätzte Baumeister H. Beckmann gewesen sein. Dieser war auch der erste Hotelbesitzer, ihm folgte Carl Buscher, dann August Rasche. Zu Adolf Buschers Zeiten tagte im „Berliner Hof“ die Gesellschaft „Goldener Zirkel“, bei deren Festlichkeiten es hoch her gegangen sein soll.

Im Laufe der Zeit wurde der „Berliner Hof“ durch notwendige Anbauten vergrößert. Bei den Lenneper Schützenfesten wurde früher der Krönungsball mit großer Feierlichkeit im „Berliner Hof“ abgehalten. Auch offizielle Festlichkeiten wie die abendliche Galafeier zur Eröffnung der Bevertalsperre fanden im besten Hotel der Kreisstadt statt, und noch heute erinnern sich viele Lenneper an die dortigen Tanzstunden und Bälle. Von großem Interesse waren früher die sog. Fremdenlisten der Gemeinden, d.h. die Veröffentlichung von Reisenden/Gästen und ihren Unterkünften. Die Listen wiesen angesehene Personen auf - Grafen, Barone, Freiherren, Pfarrer, höhere Beamte und Gewerbetreibende aus nah und fern. Und in Lennep logierten sie zu einem erheblichen Teil im „Berliner Hof“.

Ich selbst habe als 13-Jähriger den Umzug der Post in den westlichen Teil des Berliner Hofs mit erlebt, da ich seinerzeit genau gegenüber wohnte und das Gebäude seit meiner Kindheit kannte. Wir spielten dort öfters in den ungenutzten dunklen Räumen. Aus unserem Garten trug mein Vater im Sommer Blumenschmuck ins Hotel, die Frau des damaligen Hotelbesitzers war eine Jugendfreundin und auch schon in der zweiten Generation im Hotel. Ich erinnere mich noch an den Koch namens Herr van Essen, der in unserem Haus ein Zimmer gemietet hatte und mit seiner großen weißen Kochmütze über den Mollplatz ging. Zu meiner Oma sagte er scherzhaft: Oma, bleib ein anständiges Mädchen!“ Später wohnten dann Postbedienstete bei uns, die nur am Wochenende in ihre Heimat fuhren, z.B. Herr Rüter aus dem Westfälischen, der einen genau so aussehenden Zwillingsbruder hatte; die beiden wurden oft miteinander verwechselt.  

Als Oberschüler arbeitete ich in den Ferien bei der Post im Berliner Hof und trug die Briefe im Bereich Wupper-, Leverkuser Straße, Rotdornallee und Sauerbronnstraße aus. Damals musste ein Briefträger zu Beginn des Monats noch die Rundfunkgebühren und Mitte des Monats die Zeitungsrechnungen kassieren. Ich kann mich noch erinnern, dass der damalige Stellenleiter der Post, ein früherer Offizier, uns Schüler ermahnte, diese Ferientätigkeit nicht zu schnell auszuüben, um den älteren Normalpostlern nicht „die Zeiten kaputt zu machen“. Gerne trafen sich damals drei oder vier Schüler in einer Wirtschaft an der Grenze ihrer „Orte“ (Austragebezirke), schon um elf Uhr, um nach getaner Zustellerarbeit ein wohlverdientes Helles zu trinken. (Damals fasste ein normales Bierglas noch einen halben Liter).

Das marode Postgebäude von 1919-20 am Lenneper Bahnhof in den 1950-er Jahren. Es musste 1960 wegen Baufälligkeit aberissen werden. Bildsammlung SchmidtAuch das „alte“ Postgebäude gegenüber dem Lenneper Bahnhof habe ich noch gekannt. Dort ging mein Vater in den 1950-er Jahren am Wochenende mit mir hin, um die Schließfachpost für das Baugeschäft auf der Karlshöhe zu holen. Als Röntgenschüler arbeitete ich mit Freunden dort später bei der Paketumladestation; wir warfen die Postpakete, die von der Annahmestelle am Mollplatz kamen oder die in Lennep umgeladen werden mussten, in hohem Bogen in die großen Laster; drinnen war dann einer, der die Pakete aus Platzgründen ordentlich stapelte. Auf der Schubkarre, so erinnerte sich neulich ein Freund bei einem Lenneper Stadtrundgang, wurden die schweren Geldkisten von der Bahn über die Straße gezogen und mit den VW der Post zum „Berliner Hof“ gefahren. In der Regel fuhr man die Pkw in zweiten Gang und mit nicht zu überhörendem Vollgas, und es hieß: Wer bremst ist feige. Beim Geldtransport machten sich die fest angestellten Postler einen Spaß daraus, die Oberschüler mit der dabei obligatorischen Dienstpistole zu versehen. (Bei einem Überfall hätten wir sicher nicht gewusst, wie man damit umgeht, und natürlich war die Übergabe an Schüler auch gar nicht erlaubt.)

Dass ihre Post einmal ins Hotel am Mollplatz ziehen würde, das hätten sich die alten Lenneper damals wohl nicht träumen lassen. Als im Juni 1960 dorthin umgezogen wurde, war der marode Zustand des alten Postgebäudes am Bahnhof schon lange bekannt. Die Decken des von 1919 bis 1921 errichteten Gebäudes drohten einzustürzen, eine Folge insbesondere der verschiedenen Bombenangriffe in den letzten Kriegstagen.

Das Kaiserliche Postamt an der heutigen Lüttringhauser Straße setzte zunächst die Tradition der alten Poststation rechts nebenan fort. Bildsammlung SchmidtDabei hatte sich das Lenneper Postgeschehen im 19.Jahrhundert schon einmal an der Poststraße und am Mollplatz abgespielt, und zwar auf dem Areal zur Lüttringhauser Straße und zur Knusthöhe hin. Im Lenneper Kreisblatt vom 18. 2. 1922 wurde seinerzeit wehmütig über die gute alte Zeit berichtet, als die Post ihre Wagen mit Pferden betrieb und die Eisenbahn in Lennep noch nicht vorhanden war. Es hieß damals, dass die Postanstalt in ihrer äußeren Erscheinung und in ihrer Anpassung an die Verkehrsverhältnisse in den letzten 80 Jahren, also seit ca.1860, viele Umwandlungen durchgemacht habe. Bevor die Anlage der Eisenbahn Barmen-Rittershausen-Remscheid im Jahre 1868 die alten Verkehrsverhältnisse umwandelte, war mit der hiesigen Post eine Posthalterei verbunden, weil von Lennep aus die Postwagen nach allen Richtungen hin verkehrten und dafür eine Menge Pferde gehalten werden mussten.

Die Posthalterei lag an der Abzweigung der jetzigen Lüttringhauser Straße (früher Elberfelderstraße, vor 1849 Endringhausergasse) von der Knusthöhe. Das linke Eckhaus mit anliegenden Hintergebäuden war damals Pferdestall. Im Hauptgebäude standen in zwei Ställen je 24 Pferde, in dem Hintergebäude etwa zehn bis 20 Pferde je nach Bedarf. Auf dem Posthaltereihof und vor dem Postgebäude war immer ein reges Leben und Treiben. Die Pferde wurden häufig in den großen Teich am Thüringsberg hinter dem späteren Kaiserdenkmal in die Schwemme geritten, es war ein fortwährendes An- und Abschirren der Pferde, da außer den regelmäßigen Postwagen bei besonderen Gelegenheiten viele Beiwagen gestellt werden mussten, ebenfalls Extrapost. Die Pferde wurden auch für den großen landwirtschaftlichen Betrieb der Lenneper Posthalterei gebraucht, sie mussten die Felder bearbeiten und die Feldfrüchte einholen.

Es verkehrten täglich mehrere Male vierspännige Postwagen, vorn Kabriolett für den „Kondukteur“ und ein bis zwei Fahrgäste, hinten ein sechssitziger Hauptwagen, mit großem Paketkasten am hinteren Ende, nach Elberfeld über Lüttringhausen und Ronsdorf, sowie nach Gummersbach über Wipperfürth und Marienheide, mit Pferdewechsel in Wipperfürth. Sodann ging jeden Morgen um fünf Uhr und mittags ein dreispänniger Wagen nach Köln mit sechs Sitzen, davon gehörte einer dem Kondukteur; der Pferdewechsel fand in Straßerhof im Oberbergischen statt. Nach Barmen-Rittershausen, Schwelm, Halver über Radevormwald, sowie nach Remscheid fuhren täglich ein- bis zweimal zweispännige Postwagen mit sechs Sitzen oder bei Wagen mit hinterem Eingang auch acht Sitzen. Letztere hatten alsdann drei Pferde.

Die oberen Stockwerke der Posthalterei dienten im Vordergebäude als Futterboden, im Hintergebäude als Schlafraum für die unverheirateten und fremden Postillione. Unter den Postillionen waren immer einige, die auf dem Posthorn außer den bekannten Hornsignalen noch andere Melodien blasen konnten, sie spielten abends meistens in ihrem Zimmer und auch unterwegs auf Wunsch der Fahrgäste. Der anheimelnde, schöne Klang des Posthorns wurde allgemein als besonderer Genuss empfunden.

Auch das frühere Wirtshaus Schingen – „Im Weinberg“ - wurde um 1970 abgerissen. Es gehörte im 19. Jahrh. zu den Postgebäuden. Bildsammlung Schmidt In dem Quergebäude, dem Spezereiladen (später Lebensmittel Heyer), waren unten Wagenremise und Schmiede für Hufbeschlag und Reparaturen, oben der Heu- und Strohboden untergebracht. In dem Eckhaus an der Knusthöhe, dem vormaligen Gasthof Schingen („Im Weinberg“) war der hintere Teil zur Verwalterwohnung der Posthalterei eingerichtet mit einer großen Wirtschaftsküche, da die Posthalterei außer den Postpferden auch noch Kühe hielt. Ein langer Stall und ein Wirtschaftsgebäude mit großer Scheune lagen an der nordwestlichen Seite, entlang der heutigen Lüttringhauser Straße. Das Gebäude ist anfangs der 1880-er Jahre abgebrannt. Verkohlte Speckseiten sollen damals über die Straße geflogen sein und für weitere Häuser eine Brandgefahr dargestellt haben.

Der eigentliche Postbetrieb, Annahme und Versand der Korrespondenzen und Pakete, der Telegraphendienst und dergleichen hatte mit der alten Posthalterei später direkt nichts zu tun, dazu diente dann das neben der alten Posthalterei entstandene Kaiserliche Postgebäude, später Polizei, die manche von uns in der Zeit nach 1945 dort noch erlebt haben. Der Eingang der alten Poststation lag vorne am Gebäude über einer Treppe von einigen Stufen. Links war das Postbüro mit Briefschalter, rechts vorne eine Passagierstube, hinten die Packkammer. In der oberen Etage wohnte der Postmeister. Nach einem Umbau von 1882 sind diese Verhältnisse im Wesentlichen so geblieben bis zum Umzug in den Neubau am Bahnhof Anfang der 1920-er Jahre, wozu das inzwischen eingerichtete Privatwohnhaus des ehemaligen Posthalters Groß, dessen Familie sich inzwischen mit einer Gastwirtschaft im Bahnhof eingerichtet hatte, wieder weichen musste. Auf einigen historischen Postkarten ist es noch abgebildet.

Nach Anlage der Haupteisenbahn im Jahre 1868 wurde der Postwagenverkehr von der Lüttringhauser Straße aus erheblich eingeschränkt und die alte Posthalterei aufgegeben. Es verkehrten nur noch Postwagen nach Radevormwald, Dahlhausen und Beyenburg, bis auch diese nach Anlage der Wupperbahn im Jahre 1887 aufgegeben wurden. Des Posthorns dumpfer, aber doch schöner Klang verschwand, und es kam eine neue Zeit.


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