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Die weltliche Schule, fast vergessene Schulgeschichte (1)

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 „Greift zu!":„Wir besaßen einen Bollerwagen, das war einviereckiger Holzkasten mit Rädern drunter. Das wusste der Wunn, unser Rektor in der Osterbuscher Schule. ,Nimm dir noch zwei Mann mit, und dann holt ihr mir einen Zentner Kohlen'. Seine Wohnung war in der Buchenstraße. Da mussten wir nun vom Osterbusch in die Neuenkamper Straße gehen, bei dem Koh­lenhändler Eisenberg die Kohlen holen und sie in die Buchenstraße bringen. Danach ging es wieder zurück zur Schule. Unten beim Hausmeister, dem alten Schulte, Hände waschen, dann rauf in die Klasse. Oben ging der Wunn mit uns ins Rektorzimmer. Es ist traurig, was ich jetzt sage: Da legte der Wunn mitten auf den großen Tisch, den langen Verhandlungstisch, einen Pfennig. Wir Jungens mussten Abstand nehmen vom Tisch, dann sagte der Wunn: ,Greift zu.' Wer jetzt zugriff, der kriegte Senge, weil er hab­gierig war. Und wer nicht zugriff, der kriegte Senge, weil er den Pfennig nicht ehrte. Für jedesmal Kohlen holen kriegten wir Wichse. Dat darf märr ki'enem mi'eh vertäuen. Et es äwwer woahr. - Hat denn überhaupt jemand das Geld bekommen? - Nö, Gotteswil­len nicht. Es war doch immer derselbe Pfennig."

„Unruhige Zeitabläufe sind es, die unser Schulwesen fast allgemein be­einflussen", klagt der Remscheider Oberbürgermei­ster im Verwaltungsbericht für das Jahr 1921 und fügt ergänzend hin­zu: „Dieselben Gründe, welche das Verfassungswerk in Weimar noch zu Fall brachten, werden auch heute wieder der Hemmschuh zur Durch­führung des Schulgesetzes sein: Die Frage nach der Weltanschauung, der Festlegung einer Regel für die Aus­schaltung oder Beibehaltung des Reli­gionsunterrichtes in den Volksschu­len . . . Die Schuldeputation hat der Forderung der Schulaufsichtsbehörde Rechnung getragen, ohne die recht­liche Grundlage zu prüfen, und be­schloss die Einrichtung von Sammel­klassen bzw. von Sammelschulen. Die Absicht der Schulverwaltung auf bal­dige Durchführung scheiterte einst­weilen an dem Mangel gewillter Lehr­kräfte. Zwangsweise kann kein Lehrer zur Sammelschule überwiesen wer­den. Nach den Herbstferien . . . konnte die erste Sammelschule im Ge­bäude der Schule Stachelhausen (Honsberger Straße) mit zehn Klassen eingerichtet werden. Der bisherige evangelische Schulbezirk Stachelhau­sen musste aufgelöst und die Kinder auf benachbarte Schulen verteilt werden. Zu Ende des Schuljahres waren die Vorbereitungen soweit ge­diehen, dass zum Beginn des laufen­den Jahres (1922) die siebenklassige Sam­melschule Nordstraße und die zehnklassige Sammelschule Handweiser einge­richtet werden konnten. Die Ein­richtung dieser Schulen war nur mög­lich dadurch, dass sämtliche freien Stel­len mit Lehrern besetzt wurden, die zur Sammelschule überzugehen be­reit waren".

Zu den zahlreichen Erregungen des politischen Lebens, die mit dem Nie­dergang des Kaiserreiches verbunden waren, gesellten sich die Auseinander­setzungen um die Reform des Volksschulwesens. Der dadurch ent­standene Schulkampf war es, der dem pädagogischen Betrieb jene Unruhe bescherte, die im Verwaltungsbe­richt ihren Niederschlag fand. Dabei lässt der im amtlichen Sprachgebrauch gehaltene Text nicht einmal vermu­ten, dass „die Frage der Weltan­schauung" in Remscheid bereits zu Kampagnen geführt hatte, die, weil ideologischen Ursprungs - hie bürger­lich-klerikal, da proletarisch-klas­senkämpferisch -, an Emotionen und Leidenschaften nichts entbehrten. Die vom Oberbürgermeister beklagten be­deutenden „Störungen" im Schulbe­trieb waren aus den Halbherzigkeiten der neuen Schreibmaschinen-Unterricht an der Städt. Handelsschule an der Freiheitstraße.Gesetzgeber entstanden, aus der politischen Notwendigkeit, es al­len recht machen zu müssen. So ent­stand der Weimarer Schulkompromiss, mit dem am Ende nicht nur nie­mand mehr zufrieden war, sondern der auch Anlass gab, die Erstellung eines Reichsschulgesetzes zu behin­dern. Der Gesetzentwurf zum Reichsschulgesetz, der 1922 erschien, wurde dann auch als „die typische Frucht des Weimarer Kompromisses" ver­dammt; als „Verkörperung nicht des Fortschritts, sondern des Rück­schritts". Edwin Hörnle hat das Di­lemma treffend beschrieben: „Der Reichsschulgesetzentwurf geht von dem fundamentalen Irrtum aus, man könne den immer höher aufflammenden Schulkampf dadurch beseitigen, dass man hübsch demokratisch jeder Partei das Ihre gibt, nämlich: den Konfessionellen die Konfessions­schule, den Sektierern die Weltan­schauungsschule, den Freidenkern die Weltliche Schule und den Schiedlich-fiedlichen die Simultanschule. Dadurch soll die Schule vor dem Schicksal bewahrt werden, ein Ge­genstand des ,Parteigezänkes' zu werden. Diese Lösung bedeutet natür­lich in der Praxis nicht die Beilegung des Schulkampfes, sondern gerade das Gegenteil: seine Entfesselung in voller Breite."

Der eigentliche Konfliktstoff, der mit der Revolution seinen Auftrieb er­fahren und in ihr die lösende Kraft ge­sehen hatte, konnte auf eine beachtli­che Tradition zurückblicken. Bereits auf ihrem Gründungsparteitag 1869 in Eisenach hatte die Sozialdemokrati­sche Arbeiterpartei die „Trennung der Kirche vom Staat und die Trennung der Schule von der Kirche" gefordert. Diese Forderung kam in den nachfol­genden Jahren verstärkt zum Aus­druck in dem Maße, in dem sich der Einflusser Kirchen auf das öffentli­che Schulwesen ausweitete. Auf ihrem Parteitag in Mannheim 1906 ver­langte die Sozialdemokratische Par­tei Deutschlands schließlich die „Schaffung eines Reichsschulgesetzes auf der Grundlage der Einheitlichkeit und Weltlichkeit des gesamten Schulwesens."

 Der Direx:„Wenn ich nur bedenke, wie die Schüler heute mit den Lehrern umge­hen. Für uns war jeder Lehrer eine Re­spektsperson, da hätten wir nie ein böses Wort zu sagen gewagt. Ein­mal, nach einer Tanzstunde, standen wir noch - vier Mädchen und vier Jungen - am Bismarckturm im Stadtpark zusammen. Da kam der Schuldirek­tor Dinkier, unser Direx, mit seiner Frau vorbei. Wir grüßten sehr freund­lich. Dann sagte ich, jetzt wird es aber Zeit, dass wir gehen, sonst kriegen wir morgen in der Schule einen auf den Helm. Ach, sagten die anderen, was machen wir denn schon. Wir ste­hen doch nur hier und unterhalten uns. Und was meinen Sie, wir mussten am nächsten Tag alle zum Direktor kommen. Wenn ich bedenk, was das früher für eine Strenge war in der Schule! Wenn man nur mit den Pen­nälern zusammenstand, wurde man schon vom Direktor gefragt: ,Wusste dein Vater, dass ihr da oben standet'?"

Ein halber Kaiser:„Der Lehrer war zu unserer Zeit ein halber Kaiser. Die Respektsache, wie man sie jetzt erlebt, mit ‚Lass uns ,du' sagen’, das haben wir nicht gekannt. Wenn man den Lehrer irgendwo auf der Straße sah, ist man in einen Haus­eingang geschlichen, damit man ihn nur nicht grüßen musste und er uns nicht ansprechen konnte. Auch für die Eltern war der Lehrer eine Re­spektsperson, unbedingt."

Fortschrittliche Lehrer und nicht nur linksorientierte Eltern unterstützten diese Forderung und hielten sie über Jahre hinaus leben­dig. Kein Wunder deshalb, dass sie von der Revolution 1918 die Erfüllung ihrer Wünsche erhofften, ja es als eine Selbstverständlichkeit ansahen, dem weltlichen Staate die weltliche Schule als die Regel- und Normschule zu ge­ben. Gleichwohl musste, so argumen­tiert W. W. Wittwer, „das Motiv der Trennung von Staat und Kirche in der Novemberrevolution rasch Ausbrei­tung finden, weil sich für die nun zu­nächst entscheidende Bedeutung ge­winnende Arbeiterbewegung die Kir­chen mit ihrer monarchischen Tra­dition, mit ihrer allzu gefügigen An­passung an die dynastische und feu­dale, kapitalistische und militaristische Ordnung des alten Staates, mit ihrer alttestamentarisch nationalistischen Kriegstheologie vom ,deutschen Gott' und vom ,heiligen Krieg' stark bela­stet hatten." Es war also keineswegs überraschend, dass bereits der Regie­rungsaufruf des Rates der Volksbeauf­tragten vom 12. November 1918 Maßnahmen ankündigte, die die Freiheit der Religion gewährleisten sollten. Bekanntlich kam aber vieles ganz anders:

 

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