Du höppiges Dier":Einmal während meiner Schulzeit saß ich etwas schief in der Bank, weil ich am Hintern ein großes Blutgeschwür hatte. Beim besten Willen konnte ich mich nicht richtig hinsetzen. Da sagte die Lehrerin ohne viel zu fragen: ,Komm raus'. Ich musste mich übers Pult legen und dann hieb sie mir unbewusst mit dem Stock das Geschwür auf. Eiter und Blut liefen mir bis in die Schuhe rein. Ich bin nach Hause gerannt. Meine Mutter stand gerade vorm Waschküben und war am Waschen. Ihr Schottelduok woar naat. Sie nahm mich an die Hand, ab in die Schule. Die Lehrerin war gehbehindert. Da sagte meine Mutter zu ihr: ,Wat häs du höppiges Dier met mi'enem Jongen gemackt?' Da fing sie an zu weinen, sie habe vom Geschwür nichts gewusst. Aber meine Mutter war jetzt richtig in Fahrt: ,Wenn du dat noch es macks, hie am Dürenpool hang ech dech op'. Ich war froh, dass das Geschwür offen war und hatte keine Schmerzen mehr. Seit der Zeit konnte ich in der Klasse machen was ich wollte." |
Mit 1921, dem Jahr, in dem die ersten weltlichen Schulen aufgrund elterlicher Willenserklärungen eingerichtet werden sollten, eskalierte der Schulkampf; er schaukelte sich hoch an der bereits bekannten Polemik. Noch im Februar sprach der Remscheider Lehrerverein in einem öffentlichen Aufklärungsabend sich für die Einführung der weltlichen Schule aus. Unter Punkt acht einer Erklärung wurde jedoch darauf hingewiesen: Wie konfessionelle Fragen, gehört auch die Politik nicht in die neue Schule hinein."Die Absicht der Schulverwaltung auf baldige Durchführung (Errichtung von Sammelklassen bzw. Sammelschulen) scheiterte einstweilen an dem Mangel gewillter Lehrkräfte", erklärte Oberbürgermeister Hartmann. Dass die Frage der weltlichen Schule in Remscheid nicht vom bösen oder guten Willen der Schuldeputation abhängt, sondern zu einer Lehrerfrage geworden war", musste auch die Bergische Volksstimme" im Juli 1921 feststellen. Ohne hier die Einzelheiten zu berühren, die dazu geführt hatten, den guten Willen und die Kooperationsbereitschaft des Remscheider Lehrervereins derart umzuschwenken, verdeutlicht das Lehrkräftedilemma, in welchem Maße die Politik Einfluss genommen hatte auf die weltliche Schule.
Die weltliche Schule ist die Parteischule der Sozialisten und Kommunisten", heißt es lapidar in einer Leserzuschrift. Das steht einwandfrei fest nach den Erklärungen, die vor wenigen Tagen im Volkshaus abgegeben worden sind. Die Lehrer, die sich der weltlichen Schule zur Verfügung gestellt haben, verlangen die Ausschaltung der Kommunistischen Partei. Das wurde von der V. K. P. D. nicht zugegeben. Es steht aber unumstößlich fest, dass die weltliche Schule der ,Freien Schulgesellschaft' die Parteischule der Kommunisten ist . . ."
Soweit war es inzwischen gekommen: Der Lehrerverein hatte sich distanziert und die Freie Schulgesellschaft" sich kompromittiert. Zwei für die Idee der weltlichen Schule wichtige Tiägerschaften gingen schon vor ihrer Errichtung verloren bzw. hatten ihre Zugkraft für die Allgemeinheit eingebüßt. Als Gradmesser der Schulkampfpolemik, die ihr Ausmaß und ihre emotionale Heftigkeit mit beredten Zeugnissen widerspiegeln, gelten die vielen Leserzuschriften in den Tageszeitungen. Hier, je nach Neigung, war dann die Rede entweder vom roten" oder vom schwarzen" Terror. Alle Register wurden gezogen. Sogar der brave, biedere Arbeitsmann" kam mundartlich zu Wort: Ming Blagen gönnt en die Schuol, an derr ech selwer woar, on uoch en die Kengerliehr; späder können se maken, wat se wellen. On Chressdag hann ech noch es met mi'enen Blagen ongerm Chressbuom all die netten, guoden Chressdagsli'eder derr Re'ih noa raffgesongen." Auch der gute Rat an die Arbeiterfrau" fehlte nicht: Ich weiß, wie Eure Männer auf der Arbeitsstelle, in Versammlungen usw. gequält und gedrängt und auch terrorisiert werden, so dass mancher schwach wird und gegen seine eigene Überzeugung etwas unterschreibt . . ." Dem setzte die Bergische Volksstimme" entgegen: . . . In der Frage der Kindererziehung lassen sich die realen Tatsachen nicht aus der Welt schaffen, dass die herrschende Klasse mit ihren ganzen Machtmitteln ideologischer Art die Erziehung der Kinder zu wirklich freien Menschen zu verhindern trachtet . . . Erst in der kommunistischen Gesellschaft wird das Kind zu einem freien Menschen erzogen werden. Das Ideal der SPD-Lehrer sind Treibhauspflanzen, die nachher, wenn die Kinder in den Kampf ums Dasein treten, an der rauhen Wirklichkeit zugrunde gehen. Die KPD arbeitet darauf hin, schon jetzt dem Kinde die Voraussetzungen zu geben, die ihnen später ermöglichen sollen, den Widerstand der proletarischen Klasse zu stärken und die kapitalistische Klasse zu überwinden ..."
Nach diesem Einblick in die ideologischen Segnungen, die auf den Rücken der Kinder ausgetragen wurden, bleibt noch die Frage nach dem Verhalten der Eltern. Die freien Schulgesellschaften sind ihrem Wesen nach proletarisch", schrieb Studienrat Johannes Resch. Wir sind uns darüber klargeworden, dass die in den freien Schulgesellschaften erstandene Bewegung eine Klassenkampfbewegung ist ... (Aber) eine Anzahl Proletarier . . . will von der unerbittlichen Konsequenz des Klassenkampfgedankens vorerst nichts wissen . . ." Diese Einstellung sollte sich eher noch verstärken, soweit sie sich auf die Wahl der Schulform für ihre Kinder bezog. In der Tat erreichte die Zahl der weltlichen Schüler selbst in den besten Jahren mit nur knapp 15 Prozent aller volksschulpflichtigen Kinder ihre Spitze. Zwar verminderte sich durch den Weltkriegknick" die Gesamtzahl der Volksschüler zwischen 1924 und 1929 um 6,5 Prozent, bei den weltlichen Schulen aber betrug die Verminderung fast 50 Prozent. Eine bemerkenswerte Differenzierung der Arbeiterschaft hinsichtlich der Gewichtung ihrer Interessenvertretung wird augenscheinlich, wenn dem minimalen Erfolg der weltlichen Schuh das generelle Wahlverhalten gegenübergestellt wird. 1924 zum Beispiel (wie auch in den nachfolgenden Jahren), ob Stadtverordnetenwahl, Landtags- oder Reichstagswahl, stets war die KPD mit über 30 Prozent aller Stimmen (SPD rd. acht Prozent) die weitaus stärkste Partei in Remscheid. Der geringe Erfolg der weltlichen Schule in dieser Stadt lässt darauf schließen, dass selbst die massivsten parteipolitischen Aktivierungsversuche bei der Mehrzahl der Eltern ohne Resonanz geblieben waren. Im Umkehrschluss bedeutet das jedoch nicht, dass die diversen religiösen Elternschulvereine im großen und ganzen erfolgreicher gewesen sein dürften. Eher waren es praktisch-materielle Erwägungen, die das Verhalten der Eltern bestimmten.
Das Ergebnis der Elternbeiratswahlen im Jahre 1920 lässt diese Vermutung erhärten. Das Gros auch der linksorientierten Eltern beließ demnach seine Kinder in den konfessionellen Schulen, trotz Religionsunterricht. Oder aber wegen des Religionsunterrichtes, wenn die Kinder zur Ersten Kommunion gehen bzw. konfirmiert werden sollten, statt an der Jugendweihe teilzunehmen. Gleichgültigkeit gegenüber den Forderungen - von welcher Seite auch immer ebenso wie die mit der Umschulung oft verbundenen weiteren Schulwege, haben sicherlich eine Rolle gespielt, alles beim alten zu belassen. Das wichtigste Argument entsprang wahrscheinlich aus der Sorge um die Zukunft der Kinder. Die stetige Verminderung der Schülerzahl lässt darauf schließen, dass immer weniger Eltern bereit waren, den Lebens- und Berufsweg ihrer Kinder durch den Besuch einer von der Bevölkerung als Parteischule" gekennzeichneten Schule zu belasten, deren politische Gegner nicht selten Positionen innehielten, die zum Beispiel bei der Bewerbung um Lehrstellen ausschlaggebend waren.
Im Mai 1922 wurde von den Stadtverordneten der SPD, USPD, KPD, KAG (Kommunistische Arbeitsgemeinschaft) gemeinsam die Errichtung weiterer weltlicher Schulen beantragt. Diese Forderung hätte aufgrund des bestehenden Mehrheitsverhältnisses - von 54 Stadtverordneten gehörten 32 den sozialistischen Parteien an - auch durchgesetzt werden können. Der Antrag wurde jedoch durch den überschätzten Zulauf bald gegenstandslos. Von den ursprünglich vier weltlichen Schulen, die Mitte der 20er Jahre über insgesamt 29 Klassen verfügten, wurde die kleinste - sie war in der Schule Schüttendelle untergebracht - zuerst aufgelöst. 1930, als die Schülerzahl der drei Schulen zusammen knapp über 500 lag, wurde die Schule Nordstraße aufgelöst. Die beiden verbliebenen weltlichen Schulen, Handweiser und Stachelhausen, traf das gleiche Schicksal im ersten Jahr des Dritten Reiches. (aus: aber die Jahre waren bestimmt nicht einfach. Remscheider Zeitzeugen berichten aus Kindheit und Jugend. Von Gerd Selbach. Herausgegeben von der Volkshochschule der Stadt Remscheid 1985.)
Konfessioneller Streit:Die konfessionell ausgerichteten Schulen lagen untereinander oft in Streit. So beschimpften sich die Schüler der evangelischen Schule Osterbusch und die Schüler der katholischen Palmschule gegenseitig. Riefen jene: ,Katholische Pfaffen, mit Eier gesaffen, mit Mehl gerührt, zum Teufel geführt', dann antworteten diese: ,Euer Pfarrer war der Thümmel und drum seid ihr alle Lümmel'. Als Kind hab ich das immer gehört. Man hat auch mit den Katholiken nie verkehrt. Auch die Blagen haben nicht miteinander gespielt. Die evangelischen waren für sich und auch die katholischen. Unsere Oma litt nicht, dass wir mit den Katholiken spielten. Sie rief uns dann rein ins Haus. Der alte Remscheider war eben so." Die Vereinsschule:In meinem dritten Schuljahr wurde die alte Gewerbeschule, in die ich eingeschult worden war, anderen Zwecken zugeführt. Wir mussten nun in die Vereinsschule, die sich am Rathausplatz befand. Es war ein altes Schiefergebäude, das eine Dependance mit zwei oder drei Klassen an der Alleestraße hatte. Die alte Vereinsschule war hygienisch unmöglich. Ihre Klassenräume wurden beheizt mit riesigen Kanonenöfen, die in der Mitte des Zimmers standen. An der hinteren Wand hingen bei schlechtem Wetter all die nassen Mäntel, Jacken und Mützen. Eine Garderobe gab es nicht. Das erzeugte eine fürchterliche Luft; gasig und feucht, durch die Ausdünstungen. Und dann diese glühendrot-gestochten Öfen. Da gab es oft verbrannte Finger. Ich glaube, es gab kein Kind, das nicht mal mit der Hand an den Ofen gekommen wäre. Die Schule war als fast baufällig berüchtigt." Dat es gries, Frollein":Zu Hause wurde nur Platt gesprochen. Meine Mutter, die eine ,Hergeluopene' war, sprach Remscheider Hochdeutsch. Als ich am 1. Mai 1908 eingeschult wurde, gab es Schwierigkeiten mit der Sprache. Mit dem Hochdeutschen hatte ich Streit. Fräulein Schürmann, unsere Lehrerin, fragte: ,Welche Farbe ist das?' -,Dat es gries'. - ,Nein, das heißt auf Hochdeutsch ,grau'. - ,Nee Frollein, do mott ech äwwer i'esch ming Oma frogen'," Erste Bank, Erster:In unserer Schulklasse hatten wir noch die Sitzordnung. Jeder Schüler war daher bestrebt, vorne zu sitzen, denn unsere Lehrerin plazierte uns nach Leistung. Da hieß es dann: ,Setz dich eins rauf. Oder: ,Setz dich eins runter', wenn man Fehler gemacht hatte. Der Streit unter den Schülern ging um den Platz ,erste Bank, Erster.' Je schlechter man war, je weiter hinten saß man." 60 bis 70 Blagen: 1905 bin ich in die Schule Hölterfeld gekommen. Da saßen wir mit 60 bis 70 Blagen in einer Klasse. Da gab es nicht so kleine Klassen wie heute. Die Lehrer haben uns immer ein bisschen amüsiert, denn sie waren noch so altmodisch; altmodischer jedenfalls als wir. Die alten Lehrer hatten noch diese langen Gehröcke an. Die Lehrerinnen waren ganz in schwarz. Sie hatten Kleider bis auf die Erde und waren zugeknöpft bis oben zum Kinn." |