Ursprünglich gab es im Remscheider Gebiet das alte sächsische Längsdielenhaus. Doch die gewandelten Anforderungen der kleinbäuerlichen und halbgewerblichen Betriebe im 16. und 17. Jahrhundert brachten das Querdielenhaus und das aufgelockerte fränkische Gehöft mit mehreren Einzelgebäuden in unsere Gegend. Fachwerk, Balkenwerk mit Füllung aus Reisiggeflecht und Lehmbewurf blieb die bevorzugte Bauweise. Dazu kamen Strohdächer. Steinbauten hatten Seltenheitswert und kamen nur für Leute in Betracht, die einen Schutz- und Wehrbau brauchten. Hin und wieder zimmerte man sich einen Bergfried aus Holz. Der Pulverturm im Hof Morsbach ist ein Beispiel (Foto rechts). Eine Variation des Fachwerkhauses brachte der Schieferbeschlag, ursprünglich an der Wetterseite, dann aber aus Gründen des guten Aussehens auch rundum.
Eines der ältesten, wenn nicht das älteste bergische Haus Remscheids überhaupt, steht im Hasenclev, gesichertes 16. Jahrhundert, erbaut auch von einem Hasenclever im Jahre 1563. Die wirtschaftliche Blüte des 18. Jahrhunderts wurde auch im Hausbau deutlich. Namentlich die Kaufmannsfamilien, die den Herstellern gegenüber materiell im Vorteil waren, setzten neue Maßstäbe. Sie planten großräumiger, gaben den Zimmern größere Fenster, bekrönten die Fenster, vor allem aber die Türen mit dem Schmuck der Zeit: Rokoko. Die Türen selbst, vorher schlicht, schwer, solide, mit blanken Knöpfen und Klopfern wie ein Schlüssel zur bergischen Seele, werden nun auch Spiegelbilder der Phantasie. Es ist am Ende ein Wetteifern um den Schönheitspreis, sehr zur Freude der späteren Heimatforscher, die ja - da der Remscheider Raum so karg ist an kulturellen Hinterlassenschaften - auf jede Künstlerspur in Remscheider Vergangenheit versessen sind.
Alles, was Baukunst in Remscheid hervorzubringen vermochte, vereinigt sich in dem 1778 bis 1779 von den Brüdern Peter-Caspar und Johann-Peter Hilger errichteten prächtigen Kaufmannshaus, in dem sich heute das Remscheider Heimatmuseum und das Deutsche Werkzeugmuseum befinden. Zwei hohe Freitreppen führen ins Innere. Die mit geschnitztem Sprossenwerk verzierten Oberlichter gewähren der Diele breite Lichtzufuhr. Bei anderen Rokokohäusern, die organisch den französischen Stil mit der Eigenart des bergischen Hauses verbinden, finden sich beiderseits schmale Portalfenster zur weiteren Aufhellung der Diele. Über dem zierlichen Geranke von Fenster-, Tür- und Oberlichtschmuck liegt entweder ein mächtiges Satteldach mit Quergiebel oder ein französisches Dach, geschweift oder abgewalmt. Auf dem Giebel thront nicht selten eine Kugel, Sinnbild des Erdballs, oder ein Segelschiff als Wetterfahne, Zeichen des Kaufherrn, der den Ruhm Remscheids in alle Welt trägt. (Foto rechts: Haus Luckhaus im Hof Büchel.)
Stilverwilderung und damit eine Zerstörung des einheitlichen baulichen Gesamtbildes setzte gegen Ende des vorigen Jahrhunderts ein. Der von 1814 an in Remscheid waltende Bürgermeister Abraham Hering hatte bei der Regierung einen Bebauungsplan eingereicht, um in der schnell wachsenden Stadt Fluchtlinien zu schaffen und vielleicht ein in aller notwendigen Erneuerung und Erweiterung ansehnliches Stadtbild zu erhalten. Aber er war abgewiesen und auf das nächste Jahrhundert vertröstet worden. Die Kurzsichtigkeit der amtlichen Stellen rächte sich. Um die Jahrhundertwende war das einheitliche Bild eines bergischen Marktes, wie es sich noch 1870 dargeboten hatte, abgelöst durch stillose Steinbauten, die sich überall zwischen die Schieferbauten drängten. Der Schützenplatz mit Schützenhalle, später ein repräsentatives Zentrum Remscheids (um dessen endgültige Neugestaltung übrigens nach der Zerstörung 1943 gerungen wurde) bietet um 1900 vom städtebaulichen Standpunkt ein trostloses Bild. Alter Bahnhof, erster Wasserturm, die Backsteinbaukästen der Lutherkirche und der Katholischen Pfarrkirche St. Suitbertus, man kommt auf eine ganze Fülle von Scheußlichkeiten, die eine baukünstlerisch ratlose Zeit hervorbrachte und das Remscheider Gesamtbild beeinträchtigten.
Die Straßen sind um die Jahrhundertwende zum großen Teil noch unbefestigt, ohne Bürgersteige, in den Wintermonaten schmutzigen Dorfstraßen gleich, die Ausfallstraßen zu den Nachbarstädten schmal und voller gefährlicher Kurven, kein Anreiz zu häufiger Benutzung. Dies alles zusammengenommen lässt nur ein Urteil zu: Remscheid war zwar eine schnell wachsende Stadt mit weithin berühmten technischen Errungenschaften, aber eine schöne Stadt war es nicht mehr. Nach der Jahrhundertwende zeigten sich erste Ansätze zur Besserung, auch durch Bauvereine, die sich um Siedlungen und Kleinwohnungen mühten und so neue bauliche Absichten verrieten, näher dem Menschen. Ganz hat Remscheid aber nicht zu einem geschlossenen Bild zurückgefunden.(aus: Remscheid so wie es war, von Dr. Gerd Courts, erschienen 1974 im Droste Verlag.)