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Nach der Eingemeindung eine lähmende Wirtschaftskrise

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Nicht unerwähnt bleiben aber darf, dass Rem­scheid nach  den  Bürgerkriegsjahren  während  des  Ruhrkampfes 1923/24 französische Besatzung erhielt, dass die Stadt wie das ganze Land unter der Inflation zu leiden hatte und auch gegen Ende der zwanziger Jahre die Folgen der großen Wirtschaftskrise mit Massenarbeitslosigkeit zu spüren bekam. Notgeldscheine, in Remscheid gedruckt, erinnern an die Jahre der Geldentwertung. Dass der Inflationsirrsinn bis zu 10-Billionen-Scheinen ging - solche Scheine waren von Remscheid noch in Auftrag gegeben -, hatte niemand ahnen können. Die Wirtschaft war nur unter größten Schwierigkeiten wieder in Gang zu setzen. Die Arbeitgeber verließen die Arbeitsge­meinschaften mit den Gewerkschaften. Sie erkannten den Achtstundentag nicht mehr an. Die Arbeiter lehnten sich auf. Es kam zu einem sieben Wochen dauernden Streik der Metallindustrie 1924. Aber die Arbeitnehmer verloren bei dieser Auseinandersetzung. Schließlich kam es zu einem Tarif von 57 Wochenstunden und einem Facharbeiterecklohn von 52 Pfennig. Zwar besserte sich der Lohn bis 1927 auf 72 Pfennig, aber jetzt zog die Weltwirtschaftskrise herauf und machte viele brotlos.

Diese Situation lähmte auch in Remscheid jede kommunale Initiative. Vor allem der Bauwille, dem in den Jahren 1922 bis 1927 die Wohnsiedlungen Bökerhöhe und Neuenhof ihre Entstehung verdankten, war dahin. Begonnenes blieb un­vollendet.Dies alles traf Remscheid um so härter, als es 1929 den Kampf um die Eingemeindung umliegender Städte erfolgreich hinter sich gebracht hatte. In der »Denkschrift der Stadt zur kom­munalen Neugliederung im Bergischen Land« vom Juni 1928 war gerade die Expansionskraft Remscheids ein wesentliches Argument gewesen.

Die gleiche geschichtliche Entwicklung habe das Gebiet der Stadt und der umliegenden Gemeinwesen Lennep, Lütt­ringhausen, Cronenberg, Wermelskirchen und Burg zu ei­nem einheitlichen Kulturgebiet werden lassen. Die Struktur der Wirtschaft sei in ihrer Mischung glücklich, die bereits vollzogene bauliche Annäherung ein weiterer Hinweis auf die Notwendigkeit des Zusammenschlusses. In die Denkschrift, die das preußische Innenministerium endgültig für die Eingemeindung gewinnen sollte, nahmen die Remscheider wörtlich auf: „Die Stadt Remscheid ist nicht mehr in der Lage, ihrer bereits zur Auswanderung genötigten Industrie Baugelände mit Bahnanschlüssen zur Verfügung zu stellen, während im Be­reich der neuen Bergstadt nach dem Gutachten eines ersten Fachmannes  noch   genügend   Industriegelände  vorhanden ist.“ Und weiter verwiesen die Eingemeindungsbefürworter auf die Notwendigkeit, die vorhandenen Straßen zu einem »Kraftwagenstraßennetz« auszubauen, den gesamten Bezirk zentral durch elektrische Bahnen und Kraftwagen aufzu­schließen und die Widerstände gegen eine solche Verkehrs­politik zu beseitigen.

Auch topografisch sahen die Remscheider keine Schwierig­keiten- das war übrigens ein Punkt, bei dem ihnen besonders heftig widersprochen wurde -, denn sie gingen davon aus, dass die Täler zwischen den erwähnten Städten keine städtebaulich trennenden Eigenschaften hatten. Doch alle Argumente stießen rundum auf taube Ohren. Die umliegenden Gemeinden witterten Unrat, Remscheider Großmannssucht, ja sogar die Absicht einer überanstrengten Kommune, sich bei ihren gesunden Nachbarn neue Lebens­kraft zu holen - und die Nachbarn dabei still und heimlich auszusaugen. Ein Kampf mit allen Mitteln hob an. Die Lüttringhauser zum Beispiel unter ihrem Bürgermeister Dr. Suthoff-Groß gaben eine Schrift mit dem Titel »Lüttringhausen - eine bergische Stadt« heraus, in der die Geschichte als Zeugin für das orga­nische Wachstum der Stadt angeboten wird. Die gesunden wirtschaftlichen Verhältnisse werden aufgeführt, die kom­munalen Einrichtungen minutiös zusammengezählt.

Dann werden die Remscheider Argumente Stück für Stück zurückgewiesen. Es wird behauptet, Remscheid besitze auf Jahrzehnte hinaus genug Siedlungsgelände. Lüttringhausen habe kein geeignetes Industriegelände. Und Steuererhöhun­gen seien auch zwangsläufig eine Folge des Zusammen­schlusses. Schließlich verböte die Topografie den geplanten Schritt, denn die tief eingeschnittenen Täler und die unbebaubaren Hänge seien nun einmal natürliche Grenzbildner. Und es blieb nicht bei Schriften, es gab Protestkundgebun­gen, nicht nur in Lüttringhausen. Die Bevölkerung war für die Beibehaltung des Alten eher zu gewinnen. Entsprechend verliefen diese Versammlungen. Aber die Remscheider be­kamen Lennep und ein großes Stück von Lüttringhausen. Der Gebietszuwachs betrug 100 Prozent, der Bevölkerungszu­wachs, von 79.000 auf 102.900, rund 30 Prozent. Alle Beteiligten haben am Ende von der gefundenen Lösung profitiert, doch bei den Eingemeindeten hat es Jahrzehnte gedauert, ehe der Groll gegen die Remscheider schwand. Und hartnäckig hielt sich das Gerücht, dass vor der Kampfab­stimmung im preußischen Landtag einige Eingemeindungs­gegner unter den Abgeordneten von ihren Kontrahenten auf der Toilette eingeschlossen worden seien.

Nach der Eingemeindung tat sich Remscheid zunächst  einmal schwer,  große Verspre­chungen zu erfüllen. Die Weltwirtschaftskrise lähmte allen Schwung, und erst die „Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen" der Nationalsozialisten brachten hier Wandel. Remscheid in den dreißiger Jahren, das sind 259 Kilometer gepflegter Straßen, das ist eine unter großen Schwierigkeiten in Fluchtlinien gezwängte Bismarckstraße,  ein regulierter Markt, an dem die kräftig herausgehobene Stadtkirche wieder den bergischen Charakter unterstreicht. Die Ausfallstraßen sind verbessert, überall sind Grünanlagen entstanden. Remscheid war auf dem besten Wege, wieder an Ansehn­lichkeit und Wohnwert zu gewinnen. Da machte der Zweite Weltkrieg alles zunichte. (aus: „Remscheid so wie es war“, von Dr. Gerd Courts, erschienen 1974 im Droste Verlag.)


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