Teil I
Es dürfte kaum ein zweites Gebiet geben, auf dem so viele Irrtümer und unzutreffende Annahmen verbreitet sind wie in den geschichtlichen Darstellungen der bergischen eisengewerblichen Tätigkeit. Es scheint, als ob man den Bewohnern des Bergischen eine solche Fülle von Erfindungen, wie sie hier im Verlauf von drei bis vier Jahrhunderten gemacht wurden, nicht zugetraut hat. Nicht nur die Einrichtung der Wasserhämmer, sondern auch die Gründung der Schleifkotten, die noch weiter zurückreicht, hat man fremden Einwanderern zuschreiben wollen, und eine ganze Reihe der ältesten Remscheider Geschlechter waren in den letzten Jahrzehnten eifrig aber erfolglos bemüht, ihre Stammväter unter eingewanderten Niederländern und Franzosen ausfindig zu machen. Heute wissen wir, dank den Forschungen eines Crecelius, Holthaus, Schell, Schmertosch von Riesenthal, Strutz u. a., dass ein nennenswerter Zuzug von Fremden weder unter der Schreckensherrschaft Albas (1568), noch während der französischen Hugenottenverfolgung (15621598), noch endlich nach der Aufhebung des Edikts von Nantes (1685) stattgefunden hat und dass eine Befruchtung der Gewerbetätigkeit durch fremde Schmiede und Schleifer nicht nachzuweisen ist. Die Entwicklung des bergischen Gewerbes, namentlich auch die Einrichtung von Wasserkraftanlagen, war schon zu Anfang des 17. Jahrhunderts soweit vorgeschritten, dass es einer Beeinflussung von außen her gar nicht mehr bedurfte.
Wenn auch eine Beeinflussung der Gewerbetätigkeit durch die Hugenotten verneint werden muss, so hat doch nach Kuske (Volkswirtschaft des Rheinlandes, S. 5 ff.) eine starke Beeinflussung durch die Protestanten stattgefunden, die aus den katholischen Städten (Köln) unter dem Druck der ihnen als Andersgläubigen aufgezwungenen Bedingungen notgedrungen ihre wirtschaftliche Betätigung auf das Land verlegten. Das hat zur Entwicklung neuer Industriegebiete und neuer Städte in den bisher ländlichen Gegenden unter protestantischer Leitung geführt, wie das Beispiel von Elberfeld, Barmen, Solingen und Remscheid zeigt."
Auch Thun, der die bergische Industrie eingehend behandelt, hat die Sagen von der Einwanderung vertriebener Niederländer und Franzosen unbesehen übernommen. Er schreibt im Anschluss daran, dass die bergischen Meister die Fremdlinge nicht dulden wollten und dass infolge der entstandenen Streitigkeiten mehrere Schmiede im Jahre 1687 in die Grafschaft Mark auswanderten. Dort seien sie am Gevelsberge, an der Enneperstraße und bei Hagen und Eilpe mit offenen Armen aufgenommen worden. Derartige Ansichten gingen noch in die neuere Literatur über, finden sich z. ß. bei Franz Ziegler (S. 19) und in erst kürzlich erschienenen Dissertationen. Auch in dem Stammbaum der Bergischen Landesherrn" heißt es auf Seite 18: Den Beschwerden seiner evangelischen Landeskinder half er (Kurfürst Johann Wilhelm von Berg) durch die sogenannten Toleranzedikte ab. Den französischen Protestanten, die infolge der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 geflüchteten, gestattete er die Niederlassung in seinen Landen und legte damit den Grund zur bergischen Industrie."Die Remscheider Kirchenbücher, die 1680 beginnen, führen aber keinen französischen Einwanderer in dieser Zeit auf. Wie wir später sehen werden, hatte die Auswanderung der bergischen Sensenschmiede ganz andere Ursachen. Diese fortschrittlich gesonnenen Schmiede, denen die Sensenzunft den Betrieb ihrer Hämmer untersagte, wurden nicht durch Fremdlinge, sondern durch ihre eigenen Genossen aus der Heimat vertrieben.
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