Quantcast
Channel: Waterbölles - Geschichte
Viewing all articles
Browse latest Browse all 2529

Der lange Atem von Milli Hilbert

$
0
0

Milli Hilbert im mittleren Alte.In der Zeit vom 12. bis 17.11.1934 fand vor dem II. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm in Wuppertal der Prozess „Andreas Pflüger“ statt. Von den 62 Angeklagten waren zwölf Frauen. Die Gestapo hatte zunächst gegen 91 Angeklagte, darunter 22 Frauen, ermittelt.
Milli Hilbert stammt aus einer alten sozialistischen Familie. Schon ihr Großvater, der Feilenhauer Karl Leverberg, war lange Jahre sozialdemokratischer Stadtverordneter und Vertrauensmann der Remscheider Feilenhauer. Er hat noch das Verbot der SPD in den Jahren 1878-1890 durch das Bismarck’sche Sozialistengesetz erlebt und wurde als eifriger Agitator durch die kaiserliche Polizei bespitzelt. Nach dem Sozialistengesetz wurde er 2. Vorsitzender der örtlichen SPD. Die Mutter von Milli Hilbert, Anna Wetzel geb. Leverberg, nahm schon als junge Frau an den Lesezirkeln der SPD teil. Ihr Vater, Julius Wetzel, kam aus Pommern. Dort hatten seine Eltern einen Bauernhof. Er war gelernter Gärtner. Wie damals üblich, durchwanderte er als Handwerker viele Städte. Unter den Linden in Berlin hat er täglich den Rasen mähen müssen. „Wo er hinkam, überall hatte er Kontakt zu Sozialisten“, erzählt Milli Hilbert. In Remscheid, wo damals schon eine starke Arbeiterbewegung war, lernte er seine Frau kennen.

Milli Wetzel wurde am 1. August 1904 in Remscheid geboren. Sie hatte drei Schwestern und einen Bruder. Milli Hilbert berichtet:

„Mein Vater war selbständiger Gärtner. Bei ihm waren zwei Gesellen angestellt. Sie gehörten mit zu unserer Familie. Ich war ein richtiger Junge. Man nannte mich „et schwatte Mill“. Der Gehilfe Grütz hat mir in unserem Garten in der Nordstraße ein Gerüst mit Stangen und Ringen gebaut. Ich habe mich beim Turnen verletzt. Davon habe ich heute noch eine Narbe. Mit fünf Jahren bekam ich mein erstes Fahrrad. Das war ein italienisches Modell. Mit zehn bekam ich ein Mädchenfahrrad. Das war 1914. In der Wohnung meiner Eltern versammelten sich immer viele junge Leute, auch als der Krieg begonnen hatte und die Männer eingezogen wurden. Als die große Hungersnot war, hat mich mein Vater nach Pommern zu sei­nen Eltern auf den Bauernhof gebracht.“

1917 stirbt die Mutter an Krebs. 1918 holt der Vater Milli aus Pommern zurück, damit sie den Haushalt führen kann. (Sie hat noch zwei jüngere Geschwister zu versorgen). Da sie aber gern einen Beruf erlernen möchte, übernimmt Schwester Lotte den Haushalt und sie geht zur Handelsschule.

Der Vater ist ein entschiedener Kriegsgegner. Da er nicht verstehen konnte, dass die SPD den Kriegskrediten zugestimmt hat, wendet er sich dem von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gegründeten Spartakusbund zu. In der Wohnung Wetzel finden mehrmals während des Krieges Durchsuchungen statt. Später wird Julius Wetzel Mitglied der USPD und dann der KPD. Die Kinder folgen dem politischen Weg des Vaters.

Auch Tochter Milli wird in den zwanziger Jahren Mitglied der KPD und arbeitet bald auf deren Büro hinter dem Remscheider Volkshaus. Sie wird Mitglied und Vorsitzende des „Roten Frauen- und Mädchenbundes“. Ende 1929 wählt sie die Remscheider Bevölkerung als KPD-Abgeordnete ins Stadtparlament.

Mittlerweile ist sie mit Leo Hilbert verheiratet, den sie in der Arbeiterbewe­gung kennengelernt hat. Er nimmt ihr viel Arbeit ab, so dass sie ihre Funktionen wahrnehmen kann, obwohl 1930 ihr Sohn Frank geboren wird. Die kleine Familie hat eine Wohnung in der Oststraße. 1933 aber zieht sie, was viele erstaunt, in das Volkshaus, weil dort eine Wohnung frei geworden ist. Bei der Wahl am 12.3.1933 wird Milli Hilbert mit weiteren 13 Frauen und Männern der KPD noch einmal ins Stadtparlament gewählt. An dessen Sitzungen aber können sie nicht mehr teilnehmen. Die Nazis hatten auch in Remscheid die Macht übernommen.

Die Nazizeit

Julius Wetzel und seine Kinder beteiligten sich am Widerstand. Darum wird im Sommer 1933 Julius Wetzel verhaftet und Ende 1933 Milli Hilbert. Julius Wetzel kommt 66-jährig in das KZ Kemna, wo er schwer misshandelt wird, Milli Hilbert in das KZ Brauweiler. Bei dem Prozess vor dem Oberlandes­gericht Hamm in Wuppertal im November 1934 wird sie zu einem Jahr und sieben Monaten Gefängnis verurteilt. Bruder Fritz Wetzel wird in dem Prozess gegen Hans Salz und Genossen im November 1935 freigesprochen, jedoch durch die SS für 10 Monate in die Konzentrationslager Esterwegen und Sachsenhausen gesperrt.

Auch Schwester Lieschen Issel wird verhaftet und kommt ins Gefängnis. Der Vater kehrt krank aus dem KZ Kemna zurück. Er stirbt 1936. Die „Schutzhaft“ von Fritz Wetzel wird zur Beerdigung seines Vaters unterbrochen. In Handschellen kommt er zur Beerdigung. Danach lässt man ihn aber doch frei, vermutlich damit er die Gärtnerei des Vaters weiterführen kann.

Drei Jahre später beginnt der 2. Weltkrieg. Bruder Fritz Wetzel wird zur Wehrmacht eingezogen, Leo Hilbert später zum Volkssturm. Bald fallen Bomben in Remscheid. Milli Hilbert ist Luftschutzwart im Volkshaus. Bei dem großen Angriff auf Remscheid 1943 wird das Dach des Volkshauses zerstört. 1945 liegt die Stadt in Schutt und Asche.

 

"Der lange Atem von Milli Hilbert" vollständig lesen

Viewing all articles
Browse latest Browse all 2529