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Faschistischer Wortschatz hielt sich hartnäckig

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Geschichtlicher Rückblick von Prof. Dr. Jörg Becker auf das Kriegsende in  Remscheid und die Zeit unter US-amerikanischer Besatzung vom 15. April bis zum 23. Mai 1945

Teil 12: Faschismus in der Sprache
Vorabdruck aus dem Buch "Remscheid 1945", das Ende
des Jahres von Jörg Becker und Armin Breidenbach
herausgegeben werden wird.

Sprache ändert sich nicht von einem auf den anderen Tag. Sie kann sowohl flexibel als auch ungeheuer starr sein. Und insofern darf es nicht wundern, wenn in den Folgemonaten nach der Befreiung vom Faschismus immer noch faschistische Wörter und Begriffe benutzt wurden. Typische NS-Wörter waren „Endlösung“, „Sonderbehandlung“, „Parasit“, „Krebsgeschwür“, „ausmerzen“, „Anschluss“, „Gleichschaltung“, „Ostarbeiter“ oder „Fremdarbeiter“. Und auch und gerade der Begriff „Gefolgschaft“, den der Remscheider Finanzamtsvorsteher Peiseler für seine Mitarbeiter noch im Juni 1945 gebrauchte, ist ein typischer NS-Begriff, dem der Romanist Victor Klemperer in seinem schon 1947 erschienenen Buch „Lingua Tertii Imperii (LTI)“, also: die Sprache des Dritten Reiches, in seinem 23. Kapitel insgesamt zehn Seiten widmet.[1]

„Gefolgschaft, das belud sie mit altdeutscher Tradition, das machte sie zu Vasallen, zu Waffen tragenden und zur Treue verpflichteten Gefolgschaftsleuten adliger, ritterlicher Herren. [Dieses Wort] lähmte die Kritik; es führte unmittelbar zur Gesinnung jenes auf allen Spruchbändern prangenden Satzes: ‚Führer, befiehl, wir folgen!’ […] Was tut eine vollkommene Gefolgschaft? Sie denkt nicht, sie fühlt auch nicht mehr – sie folgt.“[2] Und selbstverständlich tauchen in allen Dokumenten aus dem Jahr 1945 noch die pejorativen und zugleich verharmlosenden NS-Begriffe „Ostarbeiter“ und „Fremdarbeiter“ auf. Selbst in der wissenschaftlichen Fachliteratur hat es eine sehr lange Zeit gebraucht, um stattdessen von dem zu sprechen, um was es in der Realität ging: Zwangsarbeit durch Zwangsarbeiter.  

Sprachlich ist also für den Zeitraum des Frühsommers 1945 die Fortdauer von NS-Sprache festzuhalten. Viel auffallender ist aber wegen zunächst der US- und dann der britischen Besatzung der Einzug der englischen Sprache in das öffentliche und das Verwaltungsleben der Stadt Remscheid. Das beginnt mit dem uns seltsam anmutenden Titel „The Chief Burgomaster“, der in vielen Schreiben der städtischen Verwaltung auftaucht. „Burgomaster“ ist eben nicht, wie man meinen könnte, eine Art verhunztes deutsches Wort, sondern eine in Großbritannien durchaus gebrauchte Bezeichnung in altertümlichem Englisch.

Schon am 24. April 1945 hatte der kommissarische Oberbürgermeister von Hellen erklärt: „Schreiben und Anträge an die Besatzungsbehörde sind stets in doppelter Ausfertigung bei der Besatzungsmacht einzureichen, wobei der Bogen auf der Mitte zu falten ist. Der deutsche Text kommt dabei auf die rechte Hälfte, die linke Hälfte bleibt frei für den englischen Text.“[3]

Daher arbeiteten viele Remscheider Bürgerinnen und Bürger als Übersetzer für die beiden Militärregierungen.[4] Dass solche Positionen politische Vertrauenspositionen waren, versteht sich von selbst. Man kann außerdem davon ausgehen, dass alle deutschen Dolmetscher von Geheimdienstmitarbeitern der US-amerikanischen resp. der britischen Militärverwaltung vor ihrer Arbeit auf ihre politische Zuverlässigkeit hin überprüft worden waren. Aus anderen Quellen als denen aus dem Remscheider Stadtarchiv ist bekannt, dass beide Militärregierungen Geheimdienstmitarbeiter in Remscheid im Einsatz hatten. Aus den USA war es in Remscheid der Nachrichtendienst Office of Strategic Services (OSS), für den bis Juni 1946 der spätere Oberbürgermeister Gustav Flohr arbeitete. Aus Großbritannien ist sogar der Name des Mitarbeiters des britischen Geheimdienstes bekannt. Es war ein Jonny N. Harden, der als Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes Field Security Section (FSS) in Wuppertal und Remscheid tätig war.[5]

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