Geschichtlicher Rückblick von Prof. Dr. Jörg Becker auf das Kriegsende in Remscheid und die Zeit unter US-amerikanischer Besatzung vom 15. April bis zum 23. Mai 1945 Teil 17: Oberbürgermeister Gustav Flohr |
Der spätere Bürger- und Oberbürgermeister Gustav Flohr [1] war aus Paris kommend erst am 1. Juni 1945 in Remscheid in US-amerikanischer Uniform als Mitarbeiter des in Paris ansässigen US-amerikanischen Geheimdienstes Office of Strategic Services (OSS) eingetroffen. Dokumente zeigen, dass Flohr noch nach seiner Rückkehr nach Remscheid Mitarbeiter des US-amerikanischen Geheimdienstes war und zwar bis zum 21. Juni 1945, also noch bis in die britische Besatzungszeit hinein. Sein Verbindungsoffizier in Paris war ein Donald K. Adams, bei dem sich Flohr zweimal pro Tag telefonisch melden musste.[2] Ob er das getan hat, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Eigentlich war Flohr im Juni 1945 nur zu Besuch nach Remscheid gekommen. Er muss sich aber nach seiner Ankunft in Remscheid umentschieden haben und nahm seinen Wohnsitz wieder in Remscheid auf.
Schon bald tauchte sein Name bei der britischen Militärverwaltung auf einer Namensliste vom Sommer 1945 zusammen mit Ilse Lackner [3], die später seine Sekretärin werden sein sollte, als Dolmetscher auf.[4] Für den August 1945 ist für nur eine Woche seine Mitarbeit in der 3. Priority Crimes Litigation Unit (P.C.L.U.) der britischen Militärregierung verbürgt, also einer Abteilung für Rechtsstreitigkeiten bei besonderen Straftaten. Ob sich hinter dieser P.C.L.U. wiederum ein Geheimdienst verbirgt dieses mal ein britischer , konnte bislang nicht verifiziert werden.[5] Im September 1945 übernahm Gustav Flohr die Stelle von Ernst Zulauf im Verwaltungsbeirat der Remscheid. [6] Am 18. April 1946 wurde Gustav Flohr von der britischen Militärverwaltung zum ersten Nachkriegsbürgermeister von Remscheid ernannt. Wenn einer berufen sei, so der britische Stadtkommandant C. W. Barker in seiner Rede zur Amtseinführung, die Geschicke der Stadt Remscheid zu leiten, dann könnte er sich auf Grund seiner Erfahrungen und seiner Überzeugung keinen besseren Mann vorstellen als Herrn Flohr.[7] Vom 22. Mai bis zum 4. November 1946 nahm Flohr das Amt eines kommissarischen Oberbürgermeisters der Stadt Remscheid ein.
Zum Jahresende 1945 schickte Major C. W. Barker an den Oberbürgermeister der Stadt Remscheid, folgende Weihnachtsbotschaft: Das Jahresende naht. Aus diesem Anlass will ich folgende Botschaft durch Sie an die Bevölkerung der Stadt Remscheid richten. Das Jahr 1945 mit allen seinen Schwierigkeiten und Problemen nähert sich seinem Ende. Die Lösung dieser Probleme würde ohne die gemachten Anstrengungen der Bevölkerung viel schwerer gewesen sein. Ich verstehe die Härte der gegenwärtigen Lage und am Vorabend des gemeinsamen Festes möchte ich der Hoffnung Ausdruck geben, dass das kommende Jahr allen Menschen, die guten Willens sind, Frieden, Glück und die Erfüllung der Ideale bringen möge, welche sie erstreben.[8]
Am 28. November 1945 gab es eine Anordnung von Oberbürgermeister von Hellen mit folgendem Wortlaut: Altmitglieder der NSDAP vor 1933 dürfen keinen Antrag auf Wiedereingliederung in den öffentlichen Dienst stellen.[9] Eventuell mag das für die sogenannten Altmitglieder auch eingehalten worden sein. Doch schon 1946 konnte so mancher Nationalsozialist, der 1945 entlassen worden war, einen Antrag auf Rehabilitation stellen und erfolgreich seinen alten Stuhl neu besetzen. Der hilflose Antifaschismus war schnell aufgebraucht und die Mitläuferfabrik [10]begann, sich zu drehen.
Ernst Zulauf und Max Blank haben damals genau diese Zusammenhänge gesehen, erkannt und verbittert Anklage gegen den kommissarischen Oberbürgermeister zur Hellen erhoben. In einem Schreiben an ihn schrieben sie: Der Aktionsausschuss der Widerstandsbewegung gegen den Faschismus hat die Vorgänge in der Stadtverwaltung genau beobachtet und glaubt feststellen zu müssen, dass in Bezug auf Säuberung der Verwaltung von Nazis nicht das Notwendige getan worden sei. Diese Frage erregt in der Bevölkerung ernste Besorgnis. Der Aktionsausschuss fühlt sich berufen, sich zum Sprecher dieser Besorgnis zu machen und ersucht sie um Besprechung mit dem Ziel, die Säuberung nun endlich in Fluss und zur Durchführung zu bringen. Die bis jetzt erfolgten Entlassungen von sogenannten alten Kämpfern tritt in der augenblicklichen Besetzung der Dienststellen des Rathauses und in den anderen Ämtern nicht in Erscheinung. Die Angelegenheit erduldet nach unserer Auffassungjetzt keinerlei Verzögerung mehr.[11]
Während also die US-Armee die linksrheinischen Städte längst erobert hatte und dann am 15. April 1945 schließlich auch Remscheid übernahmen, schlug die NS-Presse immer noch ihre verlogenen Propagandaschlachten. Da hieß es zum Beispiel am 29. März 1945 über den von den US-Amerikanern in Köln neu eingesetzten neuen Polizeichef Karl Winkler, dass er Jude sei [12]und noch zwölf Tage vor der Einnahme Remscheids hieß es in einem NS-Blatt für die Truppe: Wir werden [Deutschland] verteidigen, es wieder freikämpfen und so den vorschnellen Triumph des Feindes zunichtemachen. So schnell und so leicht sind wir nicht unterzukriegen.[13]
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