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Industrie nach Umgestaltung Europas durch Napoleon

1. Die Betrachtung der Geschichte der Eisenverarbeitung hat gezeigt, dass sie in Remscheid und den umliegenden Gemeinden standortmäßig bedingt war. Die vorhandenen, mengenmäßig begrenzten und daher nur einem beschränkten Absatz genügenden Rohstoffe verloren ihre Bedeutung, als Eisen und Kohle von auswärts gütemäßig besser und preiswerter bezogen wurden und der Handel den Vertrieb mehr und mehr in die Hand nahm. Es bleibe bei dem Mangel beweiskräftiger Unterlagen vorab ununtersucht, ob der Umfang der Aufträge oder der Erzeugung die Verflechtung mit dem europäischen Markt eingeleitet und verstärkt hat.

Die natürlichen Hilfskräfte des Landes behielten jedoch ihren Einfluss auf die Erzeugungsstätten und -formen: zu Beginn der preußischen Herrschaft benutzte man noch ausschließlich die Bäche als Triebkraft für die auf solche angewiesenen Betriebe; der Teil der Werkstätten — die Schmieden —, in dem nur mit der Hand gearbeitet wurde und der daher von den Kräften der Natur unabhängig war, lag auf den Höhen. Erst im technischen Zeitalter wird das Wasser durch andere Antriebsmittel ersetzt und dadurch eine regelmäßige Produktion — die Voraussetzung für normale Handelsbeziehungen und erhöhten Absatz der Erzeugnisse — sichergestellt.

Aber auch bis in unsere Tage spielt die Wasserkraft noch eine gewisse Rolle. Die Betätigung in der Siedlung am Bach findet nämlich ihre besondere Erklärung darin, dass das Wasser auch im Verarbeitungsvorgang von jeher für die Werkzeugindustrie eine im Verhältnis zu anderen Industrien ungewöhnliche Bedeutung hat; denn der größte Teil der Werkzeuge bedarf während der verschiedenen Stufen seiner Bearbeitung eines ein- oder mehrmaligen Schleifens, das bis heute noch überwiegend an naturharten Sandsteinen vorgenommen wird. Dabei dient das Wasser der Bäche — früher ausschließlich, heute nur noch in verschwindend geringem Ausmaß — als Triebkraft der ein bis 3,50 Meter im Durchmesser fassenden Sandsteine (meist aus der Eifel oder vom Main bezogen), vornehmlich zur Benetzung der Schleifsteine selbst. Erst die Anlage von Wasserleitungen, die bei den starken Höhenunterschieden im Remscheider Gebiet — bis zu 279 Metern — die Errichtung zahlreicher Wassertürme zwecks Gewinnung ausreichender Druckverhältnisse bedingte, ermöglichte die Zuführung des Wassers an jede beliebige Stelle des Geländes; dadurch wurden die Betriebsanlagen von der natürlichen Wasserkraft oder Brunnen unabhängig. So entfiel die Notwendigkeit, die Betriebe nur an den wasserreichen Bergabhängen und in den Tälern zu unterhalten. (Die bedeutendste Erhebung im Stadtgebiet liegt 379 Meter hoch, die tiefste Stelle mit 100 m über dem Meeresspiegel ist unterhalb von Müngsten an der Wupper. Diese starken Höhenunterschiede wie die reiche Abwechselung in der Oberflächengestaltung verleihen Remscheid den Charakter einer Bergstadt.)

2. Die Industrie hätte ihre Standorte jetzt überall nach Zweckmäßigkeitsgründen wählen können. Es ist jedoch für die Denkart des Bergischen — des „Bergischen Donnerkiels", wie er genannt wird — kennzeichnend, dass er seinen Betrieb vielfach ohne sonderliche Geländeauswahl anlegte. Da, wo der Vater oder Schwiegervater seinen „Rotten" (Kotten) unter anderen Verhältnissen erbaut, ein Grundstück ererbt oder gekauft hatte, erstand der neue Betrieb, mochten die Zufuhrwege oder Geländeverhältnisse noch so schwierig sein. Bei dem „mageren" Kapital war man zunächst nur darauf bedacht, Bau und Betriebseinrichtung sicherzustellen; die durch die Anlage am ungünstigen Ort erwachsenden dauernden Mehrkosten der Unannehmlichkeiten schätzte man umso geringer ein, weil Arbeitskräfte in ausreichendem Maße zur Verfügung standen und der Bergische mangels der besonderen Gunst und Einsicht der Behörden in Anlegung oder Unterhalt von Weg und Steg in seinen Ansprüchen an bequemen Zugang nicht verwöhnt war. Dennoch wurde ein erheblicher Teil der in den Tälern liegenden Werkstätten wieder auf die Höhen des Remscheider Rückens und die Kegelabhänge verlegt, von denen die Industrie einst ihren Ausgang genommen hatte.

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