Die Begeisterung, als im August 1914 die Mobilmachung verkündet wurde, war wirklich groß. Sie war unbeschreiblich. Ich hab sie noch gut in Erinnerung. Es war, an einem schönen Sommertag, wir Kinder spielten draußen. Auf einmal läuteten die Glocken so ganz außer der Reihe: Mobilmachung! Mobilmachung! hieß es da. Da war aber noch kein Krieg. Alles war begeistert und lief auf die Straße. Plötzlich sprach jeder mit jedem und es gab Leute, die schon die ersten ,Feldgrauen' in Müngsten gesehen zu haben glaubten, wo Spione die Brücke sprengen wollten. So begeistert war das Volk; wir Kinder auch." - Als im August 1914 der Krieg ausbrach, hab ich immer im Fenster gelegen und konnte sehen, wie die Soldaten die Bismarckstraße runter zum Bahnhof marschierten. Ihre Frauen und Mütter gingen mit. Die Soldaten riefen, 'Weihnachten sind wir wieder hier', und sangen 'Es braust ein Ruf wie Donnerhall', das mit 'Fest steht die Wacht, die Wacht am Rhein', endet. Dieses Lied ist in den ersten Tagen viel gesungen worden, wenn die Soldaten zum Bahnhof marschierten." - Ich hatte den Rektor Wunn in der Schule Osterbusch. Das war ein Vaterlandsparteiler, ein derart fanatischer Kaisertreuer, das war ganz doll. Nun war ja in der ersten Zeit des Krieges fast jeden Tag ein Sieg zu feiern. Da mussten wir dann gewaschen, gekämmt, Fingernägel sauber, Schuhe blank, und im guten Anzug zur Schule. Und dann mussten wir patriotische Lieder singen. Der Wunn legte da furchtbaren Wert drauf." - So eine alte Bescheinigung, dass wir die goldene Uhrkette vom Vater abgeliefert haben, habe ich noch heute. Man bekam beim Umtausch auch eine schwarze Medaille mit der Inschrift 'Gold gab ich für Eisen'. Und weil jeder so eine Medaille haben wollte, mein Bruder, aber auch ich, haben wir die Uhrkette geteilt, zwei daraus gemacht, und abgeliefert. Der Goldwert wurde in Form von Papiergeld ersetzt, was natürlich nicht dem wahren Werte entsprach. Wir bekamen dann, wie ich schon sagte, die Bescheinigung. Sie ist in schwarz-weiß-rot mit einem Eisernen Kreuz oben drüber."
Sieg um Sieg wurde in der Schule bekanntgegeben und gefeiert. Brüssel, Namur, und andere Städte fielen in einigen Tagen. Da war die Begeisterung groß. Das hielt auch einige Zeit so an, dann ließ es aber schon langsam nach. Danach war die Stimmung nicht mehr ganz so großartig. Es ging dann von Jahr zu Jahr schlechter. Besonders die Ernährung wurde zusehends magerer. Alles ging auf Lebensmittelkarten. Dann bekamen wir auch die Kohlen nur auf Bezugschein. Pro Ration einen Zentner. Mit dem Bollerwagen fuhren wir dann in die Weststraße zum Kohlenhändler. Auch dort musste man sich lange anstellen, bis man mal an die Reihe kam. Wenn ich heute darüber nachdenke, fingen zu der Zeit schon die Unruhen unter der Bevölkerung an. Die Leute waren missgestimmt, denn es waren schon zu viele Soldaten auf den Schlachtfeldern gefallen. Sie waren traurig, hatten keinen Mut mehr. Der Krieg ging auch nicht mehr so recht voran. Es begann der Stellungskrieg, man hörte keine guten Nachrichten mehr. Die Lebensmittel wurden immer knapper. Da fingen dann die Unruhen an. Eines Tages hieß es, es sind viele Leute zum Rathaus raufmarschiert und haben dort mit den Steckrüben die Scheiben eingeworfen. Die kleine Unterführung an der Bismarckstraße war an beiden Seiten mit Brettern verschlossen. Da wurden Sauerkraut und Steckrüben gelagert. Im strengen Winter 1917 wurden Möhren in der Turnhalle an der Jahnstraße ausgegeben. Da konnte dann jeder Möhren holen. Wir Kinder mussten dort hingehen, um ein paar Pfund zu ergattern. Da standen wir stundenlang in der Schlange. Es war schrecklich kalt, die Füße sind einem fast erfroren. Statt der erhofften Zuckermöhren gab es aber nur die dicken 'Peädsmuohren'."
Aus dem Ersten Weltkrieg kenn ich Steckrüben, Morgentrank, und Muschelleberwurst. Das war Wurst, die aus Muschelfleisch gemacht wurde. Aber fragen Sie mich nicht, wie die schmeckte! Ich schüttel mich jetzt noch davor." - Ich weiß, wir hatten Einquartierungen, unheimliche Mengen von Soldaten. Jede Ecke unseres Hauses war besetzt von Soldaten und Offizieren, die vorübergehend ein paar Tage in Remscheid blieben. Es war eine seltsame Zeit. Es war gar nicht so, als ob eine Welt zusammenbräche; ein Krieg verloren war. Es war so ein Tanz auf dem Vulkan. (aus: aber die Jahre waren bestimmt nicht einfach. Remscheider Zeitzeugen berichten aus Kindheit und Jugend. Von Gerd Selbach. Herausgegeben von der Volkshochschule der Stadt Remscheid 1985.)