Makent Fiärowend":Dass Lehrjahre keine Herrenjahre sind, habe ich am eigenen Leib bitter erfahren. Ich kann das ganze nur als Ausbeutung bezeichnen. Ich habe von 7 bis 19 Uhr arbeiten müssen; allerdings hatten wir mittags eine Pause von eineinhalb Stunden, und um 16 Uhr gab es noch eine kurze Kaffeepause. Wenn der Meister im Betrieb war, trauten wir Lehrlinge uns nicht, pünktlich aufzuhören. Wir mussten dann so lange warten, bis er sagte: ,Makent Fiärowend'. Aber meistens hatte er das so geschickt eingerichtet, dass kurz vor Feierabend noch jemand zur Post musste, Pakete hinbringen, oder Ware bei einem Zulieferer abholen. Das war so, dass es immer 19.30 Uhr wurde, bis man mal wirklich Feierabend hatte. Samstags wurde bis 16 Uhr gearbeitet. Danach mussten wir die Werkstatt aufräumen. Darüber wurde es dann leicht 18 Uhr, bis alles fertig war. Ferien gab es nicht. Ich war seinerzeit in der Volksjugend. Die machte schon mal große Touren, und da wollte ich gerne teilnehmen. Es sollte für 14 Tage runter nach Heidelberg gehen. Ich bat dann meinen Lehrmeister um Urlaub. Nein, es gäbe kein frei, war seine Antwort. Da hab ich dem Herrn Pastor Finneisen das gesagt. Der hat dann mit dem Lehrmeister gesprochen; daraufhin bekam ich frei, jedoch mit der Bemerkung: ,Die 14 Tage musst du nachholen, wenn du die Lehre aus hast.' Aber ich hab ihm was gepfiffen." Mit Weinen in die Fabrik gegangen:Als 14jährige bin ich in einen Haushalt gekommen. Morgens um 8 Uhr musste ich mit der Arbeit anfangen: Zuerst musste ich immer die Schuhe der ganzen Familie putzen. Dann musste ich spülen, einkaufen, und helfen, das Essen vorzubereiten. Danach musste ich die Zimmer putzen. Das waren immerhin sechs oder sieben Zimmer, die ich als 14jähriges Mädchen zu machen hatte. Nach dem Mittagessen musste ich spülen und konnte dann so zwischen 14 und 15 Uhr nach Hause gehen. Für die ganze Arbeit kriegte ich 15 Mark im Monat. Wenn ich dann noch den Garten umgrub, bekam ich zehn Mark extra. Danach hatte ich eine Stelle, in der ich morgens den Haushalt machte und nachmittags nähen lernte. Die Arbeit war so halbe-halbe aufgeteilt. Nach drei Jahren hätte ich meinen Abschluss als Schneiderin gehabt. Weil meine Schwester aber soviel Geld in der Fabrik verdiente, mein Lohn war zu gering dagegen, musste ich meine Stelle aufgeben und auch im Alexanderwerk anfangen. Mit Weinen bin ich in die Fabrik gegangen, bis ich mich durchgerungen und damit abgefunden hatte. Das viele Geld, das man im Akkord verdiente, half darüber weg. Ich war so klein, man musste mir Kisten unter die Füße stellen. Es war die Zeit, wo man Frauen die schwere Arbeit machen ließ, die eigentlich Männerarbeit war. Anfangs war es fürchterlich für mich. Unsere Arbeitszeit war von 6 bis 18 Uhr; mittags gab es eine halbe Stunde Pause, morgens und nachmittags je eine viertel Stunde. Samstags wurde von 6 bis 12.30 Uhr gearbeitet." Der REFA-Mann:Ende der 20er Jahre, das weiß ich noch ganz genau, da kriegte ich 75 Pfennig Lohn in der Stunde. Als ich dann in die Firma L. kam, kriegte ich 80 Pfennig. Ich war noch nicht lange dort, da setzte der Chef fünf Pfennig zu. Bald war ich auch auf 90 Pfennig in der Stunde. Und das war schon was. Dann hat die Firma das Minutensystem (Refa) eingeführt und extra jemanden angestellt, der sich mit der Stoppuhr jeweils einen Tag lang hinter einen Arbeiter stellte, der gerade am Schleifen war oder am Aufspannen. Da war mal einer im Betrieb, der kam aus Wermelskirchen, das war ein großer, schwerer Kerl. Der musste die Ansätze an die Sägeblätter drehen auf einer großen Plandrehbank. Jeder andere musste mit dem Flaschenzug das Werkstück, die Säge, hochhieven auf die Drehbank. Aber der aus Wermelskirchen, der war so stark, der brauchte keinen Flaschenzug. Der packte die Säge am Loch und warf sie auf die Maschine. Ebenso packte er den Deckel an, der darauf kam. Das war schon ein Zeitgewinn von drei bis vier Minuten. Das war dann sein Mehrverdienst. Deshalb kam er auf einen hohen Lohn. |
Teil II
Zu erneuten Unruhen gab die Reichsregierung den Anlass, indem sie die Unterstützungssätze, die sie den Erwerbslosen zubilligte, trotz der stark angezogenen Lebensmittelpreise nicht erhöhen wollte. Dessen ungeachtet wurde auf der Konferenz der Städtevertreter in Barmen beschlossen, 50 Prozent mehr auszuzahlen. In Remscheid war dieser Satz durch Vorschusszahlung schon aufgebraucht, und die Verwaltung hatte sich mit dem Arbeitslosenrat geeinigt, dass die Erwerbslosen statt Bargeld Lebensmittel erhalten sollten. Der Arbeitslosenrat war der Meinung, dass es schwer sei, den Leuten diese Änderung annehmbar zu machen. Aber wollte die Stadt nicht eine Sperrung der Reichsunterstützung auf sich nehmen, so musste sie diesen Ausweg einschlagen. Über das, was danach geschah, gibt die Polizeiverwaltung folgenden Bericht: Am 4. Dezember 1923, vormittags gegen 10 Uhr, versammelten sich die Erwerbslosen, nachdem sie an den Zahlstellen ihre Unterstützung empfangen hatten, auf dem Rathausplatz. Nach und nach hatten sich etwa 4.000 bis 5.000 Personen eingefunden, unter denen eine erregte Stimmung herrschte. Dem Erwerbslosenrat wurden von der Stadtverwaltung Gutscheine zum Bezug von Brot zugestanden, die am 5. Dezember an die Erwerbslosen ausgehändigt werden sollten. Hiermit war die Menge nicht zufrieden und zog nun gegen 12 Uhr mittags, nachdem sie zwangsweise zerstreut worden war, in Trupps zu den verschiedenen Stadtteilen, wo sie in die Lebensmittelläden, vornehmlich Brot- und Metzgerläden, eindrang und die Herausgabe von Waren verlangte unter der Angabe, der Oberbürgermeister habe gesagt, die Erwerbslosen sollten sich in den Geschäften holen, was sie bekommen könnten, die Stadt bezahle alles. Da, wo die Geschäftsleute die Herausgabe verweigerten, wurde ihnen Gewalt angedroht. . ."
Die amtliche Berufszählung des Jahres 1925, mit 37. 119 nach Berufen erfassten Personen (etwa 52% der Gesamtbevölkerung) bzw. 77.933 Erwerbstätigen mit ihren Angehörigen ergibt folgende Struktur:
Erwerbstätige | Mit Angehörigen | |
Industrie, Handwerk | 25 529 | 58 057 |
Handel und Verkehr | 6 774 | 12 537 |
Öffentl./freie Berufe | 2 002 | 3 865 |
Häusl. Dienste u. ä. | 2 368 | 2 753 |
Landwirtschaft | 446 | 721 |
Im selben Jahr hatte Remscheid mit 86 pro 1.000 Einwohner leider von sämtlichen Städten der Rheinprovinz die größte Erwerbslosenzahl aufzuweisen. Remscheid steht also weitaus an der Spitze. Besondere Sorgen erwachsen", erläutert der Verwaltungsbericht. (
) In der Zeitspanne 1. April 1925 bis 28. Februar 1926 waren beim Arbeitsnachweis 24.815 Arbeitssuchende (männl. 23 210; weibl. 1 605) gemeldet. Das Geschäftsjahr 1926 begann also mit einer erschreckend hohen Erwerbslosenziffer, die das ganze Jahr hindurch bis in den Winter hinein ungefähr auf gleicher Höhe stand. Die höchste Zahl wurde am 4. Juni erreicht mit 6.708 Vollerwerbslosen und 7.306 Zuschlagsempfängern (Ehegatten und Kinder), oder insgesamt 14.014 Unterstützten, das sind 18,44% der Gesamtbevölkerung." Am 25. März 1927 waren es 11,47%.
Zwei grundlegende Veränderungen versperren nun leider den Weg, weiterhin mit greifbar einfachen Zahlen und Begriffen den Verlauf der Arbeitslosigkeit in Remscheid darzustellen. Einmal wurde das Arbeitsamt, bislang eine kommunale Einrichtung, am 1. November 1928 ein Organ der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Seine Übernahme in die Kompetenz des Reiches brachte nicht nur eine Erweiterung seines Zuständigkeitsbereiches auf die umliegenden Gemeinden mit sich, sondern erzeugte auch durch immer neue Notverordnungen neue Terminologien und Modi der Arbeitslosenerfassung. Als weiteres kommen 1929 die Eingemeindungen von Lennep und Lüttringhausen hinzu. Nach einem Bericht des Arbeitsamtes gab es im Juni 1932 in Groß-Remscheid (101.000 Einwohner) 5.688 Hauptunterstützungsempfänger und 5.903 Zuschlagsempfänger. Die Gesamtzahl der Arbeitssuchenden betrug 18.661. Aufschluss über den Umfang des Elends gibt der Oberbürgermeister Ende August:
"1925 hatte RS die meisten Arbeitslosen in der Rheinprovinz" vollständig lesen