Lüttringhausen, die zweite von Remscheid im Jahre 1929 eingemeindete Stadt, ist - wie Lennep - gegen 1150 zum ersten Mal erwähnt worden, in Heberegistern der Abtei Werden an der Ruhr. Doch wo Lennep sich schon vergleichsweise früh zur Stadt mausert, mit Mauer rundherum, bleibt Lüttringhausen lange eine offene Ansiedlung, wird um 1240 Bottlenbergische Lehnsherrschaft. Um die Wende zum 14. Jahrhundert ist es Pfarrei, gegen 1312 nachweislich Sitz von sogenannten Wachszinsern des Stiftes Gerresheim. Wachszinser oder Altarangehörige waren Leute, die im besonderen Schutz einer Kirche standen und dafür einen Altarzins in Gestalt einer jährlichen Abgabe an Wachs zahlten. Das Wachs fand im kirchlichen Kultus Verwendung in Form von Kerzen zur Beleuchtung der Kirchen und Altäre. Beim Tod eines Wachszinsigen fiel dem betreffenden Altargeistlichen als Hauptrecht das beste Kleid des Verstorbenen zu. Die zum Altar des Hl. Hippolyt in Gerresheim gehörigen Lüttringhauser Wachszinser sind namentlich bekannt. Es waren Hildebrand vom Heid mit seinen Knaben, Tilgen vom Farrenbracken, die Frau des Gottschalk in der Huckenbeck mit den Ihren, Johann von Lüttringhausen, Mettel, die Frau des Glöckners mit den Ihren, die Knaben des Gobelinus von Bocksberg, Margarete von Erbslö. Wohnstätten tauchen in dieser Aufstellung auf, die bis heute bekannt sind.
Für die Entwicklung des Ortes waren auch die Steinhauser Kreuzbrüder von Wichtigkeit, die eine Laienbruderschaft des Hl. Kreuzes gründet hatten. Sie stifteten einen eigenen Altar und errichteten oberhalb der Kirche ein großes Kreuz, Ziel der Himmelfahrts-Prozessionen. Der Kreuzberg in Lüttringhausen erinnert heute noch daran. Die Bruderschaft selbst lebt fort in der Schützenbruderschaft »Zum Kreuz«. Für das alte Lüttringhausen brachten die Kreuzbrüder Impulse in zahlreichen Lebensbereichen mit sich.
Als Lüttringhausen 1363 Kirchspiel im Amt Bornefeld wird, ist Lennep -- 133 Jahre im Besitz von Stadtrechten -- eine der fünf Städte des Landes Berg. Das Kirchspiel Lüttringhausen wird bis ins 16. Jahrhundert hinein mehrmals von seinen wechselnden Besitzern verpfändet. Die Reformation hinterlässt deutliche Spuren. Der auf dem Buscherhof geborene Adolf Clarenbach wirbt 1527/28 in seinem Heimatort und in Lennep für die neue Konfession. Er wird 1529 in Köln als Ketzer verbrannt, aber seine Arbeit wirkt nach. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts sind Ansätze zur Bildung evangelischer Gemeinden in Lennep und Lüttringhausen erkennbar. 1609 sind Kirche und Kirchengüter im Besitz der Lutheraner, und die Versuche von Jesuiten aus Köln und Zisterziensern aus Altenberg, alles wieder in ihre Hand zu bringen, bleiben erfolglos.
Lüttringhausen entwickelt sich organisch, als Landgemeinde. 1720 wird die Rentei gebaut, Sitz der Rentmeisterei des Amtes Beyenburg, dem das Kirchspiel zugehört. 1733 brennt das Dorf Lüttringhausen nieder, mit Kirche und Schule, wird aber schnell wieder aufgebaut. 1770 bis 1780 erlebt Lüttringhausen eine wirtschaftliche Hochblüte. Auch hier arbeiteten -- wie in Remscheid -- Eisen- und Rohstahl-, Reck- und Raffinierhämmer. Napoleons vorübergehende Herrschaft stört auch die Entwicklung des wirtschaftlichen Lebens in Lüttringhausen. 1808 erhält der Ort eine Bürgermeistereiverfassung nach französischem Muster. 1811 kommt Lüttringhausen zum Kanton Lennep, 1816 zum preußischen Landkreis gleichen Namens. 1856, mit der Einführung der preußischen Städteordnung, erhält Lüttringhausen Stadtrecht, erst 1893 ein Wappen.
Gerd Courts: „Wir haben das alte Remscheid gesucht, in den sechzig Jahren zwischen dem Beginn des Maschinenzeitalters und dem Zweiten Weltkrieg, zwischen dem großen Aufbruch der Stadt, ihrem Erwachen, und der großen Zerstörung. Es wäre vermessen, von einer Vollständigkeit des Bildes zu sprechen. Beabsichtigt war, mit Worten zu begleiten, was an Bilddokumenten aus jenen Jahren auf uns gekommen ist. Dabei wollten wir uns nicht auf die Erläuterung des Anschaubaren beschränken, sondern auch Zusammenhänge zwischen den Bildern herstellen, Hohlräume dort ausfüllen, wo die fotografischen Bemühungen der Zeitgenossen nicht hinreichten. Eine Ahnung von dem sollte entstehen, was Remscheid einmal war, was seine bauliche Gestalt, was seine technischen Errungenschaften, welches seine Probleme, von welcher Art seine Menschen. Dass Heimatliebe in und um Remscheid stets ausgeprägt und auch für den Außenstehenden erkennbar war, dass sie es bis heute ist, hat diese Arbeit erleichtert, denn eben diese Heimatliebe hat sich zwischen manchem Paar Buchdeckeln niedergeschlagen. Sie gewann insofern Quellenwert. Doch mag man sich noch so streng ans Überlieferte halten, es schützt nicht vor der Begegnung mit anderen Auffassungen. Darum sei hier das Selbstverständliche noch einmal niedergeschrieben: Man kann das alte Remscheid auch ganz anders sehen. Wichtig indessen erscheint dem Autor allein dies: dass man sich überhaupt mit der Vergangenheit dieser Stadt befasst." |
1894 werden Wasserleitungen gebaut, 1898 entsteht die Herbringhauser Trinkwassertalsperre, deren Bauherr die Stadt Barmen ist, die aber Lüttringhausen mitversorgt. 1907 hat die Stadt ihre Straßenbahnlinie und 1908 ihr neues Rathaus, erbaut in der Amtszeit des für Lüttringhausen sehr verdienstvollen Bürgermeisters Gertenbach. Lüttringhausen, dessen wirtschaftlicher Kern durch über 300 Klein- und Mittelbetriebe der Textil- und Metallindustrie gebildet wurde, ruhte in sich. Und wenn auch der Erste Weltkrieg nicht spurlos an dem Gemeinwesen vorüberging, so änderte sich doch an der Substanz der kleinen Stadt nicht viel. Sie durchmaß die Krisenzeiten des Krieges, der Nachkriegszeit, der Inflation gelassen, und sie verwies, als sich in Remscheid Eingemeindungsgedanken regten, in der von ihrem damaligen Bürgermeister Dr. Suthoff-Grohs verantworteten Schrift »Lüttringhausen - eine bergische Stadt, die selbständige Stadtgemeinde bleiben will und muss« auf ihren Bestand, auf die 13.892 Einwohner (davon 2.817 katholisch, drei israelitisch und 548 andersgläubig), auf ihren Gebietsumfang von 3461,31 ha und ihr Wegenetz von 79,8 km. Sie rechnete ihr Vermögen von 6.385.284 Mark gegen ihre minimalen Schulden von 2.044.541 Mark auf und ließ die öffentlichen Einrichtungen Revue passieren: 15 Volksschulen mit 34 Klassen, Berufsschule mit 18 Fachklassen, von der Regierung als Musterschule des Regierungsbezirkes Düsseldorf anerkannt, Schulzahnklinik, zwei Licht-, Luft- und Sonnenbäder, sechs Turn- und Sportplätze, 30 ha großer gepflegter Stadtwald, zwei Kindergärten, ein Alten- und Waisenheim der evangelischen Kirchengemeinde.
Dieser Hinweis auf eine gute Versorgung der Bevölkerung mit allem Notwendigen leitete eine Philippika gegen Remscheider Großstadtträume ein, gipfelnd in dem Satz: »Das Bergische Land (Bergische Schweiz), dessen Kommunen nicht, wie im Ruhrgebiet in wenigen Jahrzehnten planlos gewachsen und ineinandergewachsen, sondern in jahrhundertelanger Entwicklung stetig geworden sind, bietet überhaupt keinen Anlaß zu kommunaler Neuordnung.« Lüttringhausens Bevölkerung schloss sich den Argumenten des eigenen Rathauses an, vollends, als von dort auch noch drohende Steuererhöhungen prophezeit wurden. Aber geholfen hat es nichts. 1929 wurde Lüttringhausen, das im Laufe seiner Geschichte schon mehrere Gebietsveränderungen hatte hinnehmen müssen, geteilt. An Remscheid fiel der Hauptort mit Restteilen der alten Honschaften Hohenhagen und Garschagen. Einige Wupperortschaften gingen an Radevormwald, der Stadtteil Beyenburg mit der Honschaft Wallbrecken und Teilen der Honschaft Garschagen wurde zusammen mit der Stadt Ronsdorf zu Wuppertal geschlagen. Von den mehr als 3400 ha Lüttringhauser Bodens kamen 1444 ha zu Remscheid, von den 13.800 Einwohnern 9.277.
Die Lüttringhauser haben lange unter diesem Einschnitt in ihrer Geschichte gelitten. Ihre im Jahre 1928 begründeten Heimatspiele, zunächst initiiert durch Paul Figge, einen Herbringhauser Lehrer, der auch die Stücke schrieb, wurden zu Veranstaltungen des Heimatbundes und erinnerten bei Zulauf von Tausenden an die eigenständige Vergangenheit. Und die Symbole früheren Eigenlebens, das Rathaus und der für den Stadtteil Lüttringhausen zuständige Bezirksausschuss, sind bis heute in ihrer geschichtsbezogenen Bedeutung geschätzt, von den älteren Lüttringhausern zumal.
Der Stadtteil Lüttringhausen sollte übrigens schon bald nach der Eingemeindung ebenso ein kulturelles Zentrum erhalten wie Lennep mit dem Röntgen-Museum. Doch das von der Stadtvertretung in Remscheid beschlossene »Zitathaus des bergischen Bauern« kam nicht zustande. Es sollte ein bäuerliches Gehöft errichtet werden, wo in einem Querdielenhaus nach altem Brauch Menschen und Tiere unter einem Dache lebten, während Scheune und Backhaus gesondert geplant waren. Ein Bauerngarten alten Stils sollte das Bild runden und ein Gegengewicht schaffen zu dem 1928 eingeweihten Remscheider Heimatmuseum im Haus Hilger (Cleff) auf Hasten, das bürgerliche Kultur spiegelt. Aber der Zweite Weltkrieg hat dieses Projekt verhindert.
Lüttringhausen ist vom Zweiten Weltkrieg weitgehend verschont geblieben, hat seinen baulichen Charakter nur wenig und schonend verändert. Hier und dort hört man noch Mundart eigenen, eher Wuppertaler Gepräges, hier und dort noch das Klappern der Bandstühle, die sich hier seit vielen Jahren neben der Metallindustrie behauptet haben. Wir kehren von unserem Streifzug durch die eingemeindeten Gebiete Remscheids nicht ohne die Bemerkung zurück, dass gerade in diesen Jahren wieder eine kommunale Gebietsreform im Gange ist, die von ganz anderen Größenordnungen ausgeht als sie damals, 1929, zur Debatte standen. Auch jetzt regt sich hier und dort leidenschaftlicher Widerstand gegen die Überwindung des Hergebrachten, aber aufzuhalten ist der Zug der Vernunft nicht mehr. Die Aufgabenstellung der Gegenwart, die Ansprüche der Menschen auch ans tägliche Leben lassen kleinere, um nicht zu sagen kleinliche Lösungen nicht zu. Die Erinnerung ans Alte indessen darf bleiben.(aus: „Remscheid so wie es war“, von Dr. Gerd Courts, erschienen 1974 im Droste Verlag.)