von Uwe Blass
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts gab es im Bergischen Land keine einzige Talsperre. Lediglich Mühlteiche speicherten in der Nacht Wasser, mit dem am Tage die Industrie arbeiten konnte. Eine Talsperre, wie wir sie heute kennen, galt unter Preußens Führung als unbaubar. Ein Ingenieur mit Vision änderte diese Ansicht und gilt mit seinen Entwürfen bis heute als Pionier: Otto Intze. „Er war einer der bekanntesten Wasserbauer, ein Ingenieur, der nicht nur technische Fragen innovativ lösen konnte, sondern während einer wichtigen industriellen Entwicklungsphase Gesamtlösungen für die dringend benötigte Wasserversorgung im Sommer entwickelte und den Beginn des Talsperrenbaus in ganz Preußen mit initiierte“, sagt Prof. Dr.-Ing. Andreas Schlenkhoff **), der auf dem Gebiet Wasserwirtschaft und Wasserbau lehrt.
Nach einem Ingenieurstudium in Hannover wurde Otto Intze mit gerade einmal 26 Jahren Gründungsprofessor für Baukonstruktion und Wasserbau an der neu eingerichteten Königlich Rheinisch Westfälischen Polytechnischen Schule in Aachen, dessen Rektor er auch später wurde. „Er war für eine englische Firma in Russland und hatte dort eine Eisenbahnlinie gebaut“, erzählt Schlenkhoff. „Diese Eisenbahnen sind ja mit Dampflokomotiven unterwegs gewesen, und die brauchten Wasser. Und dieses Wasser war in den Wassertürmen. Intze entwickelte ein Verfahren, Wassertürme zu bauen, das viel günstiger war als alles andere vorher, und das nennt man seitdem das Intze-Prinzip. Das Prinzip bezieht sich auf eine Bauweise des Behälterbaus für Wasserspeicher und den Stahlbau. Ab 1870 hat er sich dann sehr intensiv mit Baumaterialien beschäftigt, also ein echter Baumeister.“ Er war aber nicht nur ein genialer Ingenieur und Problemlöser, er besaß zudem die Gabe, seine Lösungsvorschläge auch klar zu kommunizieren, so dass er die Verantwortlichen in der Industrie begeistern und Kommunen und Regierung von der Tragfähigkeit seiner Ideen und Entwürfe überzeugen konnte.
Die Bauweisen der ersten Talsperren waren aus Belgien, Frankreich und England bekannt. Gesichert ist, dass Intze sich durch seine Reisen vor Ort umfänglich informiert hatte und vorhandene Ideen verbesserte. Um diese Ideen im Preußen der damaligen Zeit umsetzen zu können, hielt er viele Vorträge, die die Machbarkeit des Baus einer Talsperre unterstrichen. „Heute nennt man das vielleicht Flussgebietsmanagement. Damals fehlten sowohl hydrologische und wasserwirtschaftliche Grundlagedaten als auch die technischen Bauverfahren. Die Grundlagedaten zur Wasserwirtschaft mussten im Zuge von Bereisungen und Messkampagnen erst noch erhoben werden“, sagt Schlenkhoff. Talsperren-Mauern seien vor 1880 in Deutschland überhaupt nicht gebaut worden, und Intze brauchte natürlich auch Verbündete. „Einer dieser Verbündeten war der Lenneper Bauunternehmer Albert Schmidt, der dann auch an anderen Bauunternehmungen beteiligt war, denn Intze hat zwar viel geplant, aber nur wenig gebaut.“
Remscheid hat erste Trinkwassertalsperre Deutschlands
Zwischen 1889 bis 1891 entstand nach den Plänen Intzes die Eschbachtalsperre in Remscheid als erste deutsche Trinkwassertalsperre überhaupt. Ihr folgten nach dem gleichen Prinzip in der Zeit von 1896 bis 1914 die Bever-, Lingese-, Ronsdorfer-, Barmer-, Solinger, Neye- sowie die Brucher-Talsperre. Aus Dankbarkeit für diese kontinuierliche Wasserversorgung verliehen die Remscheider Otto Intze bereits 1893 die Ehrenbürgerschaft. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache, dass der heutige Wupperverband und der Ruhrverband eigentlich auf seine Initiative und die seiner Mitstreiter entstanden sind. „Es war ja nicht nur die Wasserversorgung für die metallverarbeitende Industrie, sondern auch für die Tuchmacher. Heute weiß das keiner mehr, aber 1883 gab es verheerende Hochwasser, daneben aber immer wieder Phasen, wo es gar kein Wasser gab. Gefahren von Typhus und Cholera und anderen Krankheiten, die immer dann auftreten, wenn die Abwasserentsorgung und Trinkwassergewinnung nicht funktioniert.“
„Die Mauern wurden als sogenannte Gewichtsmauern erbaut, d.h. der Wasserdruck kann alleine durch das Gewicht der Mauer in der Regel gehalten werden. Die Form der Mauer war dabei in der Lage leicht gekrümmt und über die Höhe gerade so geformt, dass der Wasserdruck das Bauwerk nicht zum Kippen bringen konnte. Die Drucklinien liegen dabei immer innerhalb des Bauwerks, so dass keine Zugspannung auftritt. Dies ist für die Vermeidung von Rissbildung von besonderer Bedeutung. Zudem waren die einzelnen Mauersteine händisch so gehauen, dass ein guter Verbund erreicht werden konnte, und Intze hatte wohl auch einen besonderen Mörtel genutzt, der fast wasserdicht war. Aus heutiger Sicht muss man allerdings sagen, dass Otto Intze damals eventuell auch etwas vergessen hat, und das ist der Druck aus Auftrieb, man nennt das den Sohlenwasserdruck, der dann das Gewicht der Talsperre um den Auftrieb reduziert. Das war wahrscheinlich nicht bekannt, oder Intze glaubte, dass die Mauer zum Untergrund tatsächlich dicht sei.“
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