Das ist eine gute Frage: leben wir wieder im Kalten Krieg? Da Sie alle ja auf den kleinen Imbiss warten, machen wir es kurz: ja. Guten Appetit! Wenn es Sie allerdings interessieren sollte, sich ein wenig ausführlicher mit meiner Antwort auseinanderzusetzen, sollten Sie sich bitte auf einige Zumutungen gefasst machen. Und deshalb setze ich noch einen drauf: wir leben sogar im Heißen Krieg. Zwar nicht bei uns, sondern „nur“ in der Ukraine. Aber vielleicht sollten wir uns mal daran erinnern, dass viele Menschen in Deutschland vor vier Jahren unglaubliche Angst vor den radioaktiven Strahlen aus dem 9.200 km entfernten Fukushima hatten – egal, ob das irreal war oder nicht. Und heute, tobt dort, wo Geographen den Mittelpunkt Europas verorten, ein Krieg, der bereits weit über 5.000 Tote gefordert hat. Von Remscheid nach Kiew sind es 1.800 km, nach Donezk noch mal 800 km mehr. Weit weg? Naja. Remscheid – Kiew. Das ist so weit wie Remscheid – Madrid. Ich finde das unbehaglich nahe. Ich möchte, um ein wenig Licht in die Entwicklungen der letzten Jahre zu bringen, mit Ihnen einen kleinen Ausflug in die jüngste Geschichte unternehmen.
Vortrag von Horst Kläuser, WDR-Hörfunkredakteur und langjähriger Auslandskorrespondenten in Washington und Moskau, gestern Abend beim Jahresempfang des Dekanatsrates der Remscheider Katholiken im Pfarrzentrum St. Josef an de Menninghauser Straße vor mehr als 130 Gästen aus den Kirchen, der Politik und der Gesellschaft. |
Ich verfolge die Politik Russlands intensiv seit dem Jahre 2002, die der Ukraine seit 2003. Im Winter 2004, bis einen Tag vor Heiligabend, stand ich Tag für Tag auf dem Maidan, mehr als zwei Monate lang. Man nannte das damals die „orangefarbene Revolution“ und die 300.000 Menschen, die sich damals schon nach Europa sehnten, waren so friedlich, dass man nur eine Handvoll Verkehrspolizisten brauchte, um die Falschparker am Rande des großen Platzes einzudämmen. Es duftete überall nach Bortsch, Kartoffeln, Hammelsuppe, die alten Frauen heranschleppten. Vodka wurde gereicht. Auf der Bühne bejubelte man Julia Timoschenko und Viktor Juschtschenko, das Narbengesicht. Allen war klar, die Ukraine wird endlich demokratisch, freiheitlich, der Spuk der Post-Sowjetära ist vorbei.
Nix war vorbei. Timoschenko und Juschtschenko verkrachten sich erbärmlich schnell, Demokratie passé. Infight der Oligarchen, Korruption und Betonstrukturen bei Verwaltungen und in der Justiz brachten bald alles zu Fall. Schuld war der schwache Staat, aber mindestens so schwer wog auch, dass wir, der Westen, genauer gesagt Brüssel, Paris und Berlin die Ukraine wie eine heiße Kartoffel fallen ließen. Die großen Versprechungen 2004 waren leere Worte: Juschtschenko in den Parlamenten von Washington bis Berlin sprechen zu lassen, war eine Sache. Den Beteuerungen auch Taten und , ja, Geld, folgen zu lassen, eine andere. Als es – nur ein Beispiel – darum ging, EU-Visafreiheit für junge Ukrainer für Studium und Ausbildung zu schaffen, bölkte ein CSU-Angeordneter wörtlich „dann kommen doch nur die ukrainischen Nutten zu uns“. So führt man keinen instabilen Staat an Europa heran. Europa ließ die Ukraine vorsätzlich im Stich, überließ das marode, politisch völlig unreife, aber demokratiehungrige Land sich selbst. Aus Angst. Ich hatte damals in der ARD kommentiert, die Ukraine gehöre eher in die EU as die Türkei, sei wirtschaftlich stärker als Bulgarien oder Rumänien wurde ich verlacht. Hätte man den pro-europäischen Kurs der Ukraine 2004/2005 verfolgt, sprächen wir heute nicht über Krieg.
Was folgte, war traurig. Janukowitsch, der vorbestrafte Schläger, Freund der Gangster-Oligarchen im Donbass und Wahlbetrüger von 2004 wurde erst Premier, dann Präsident. Offenbar ein guter, denn sein Sohn, Zahnarzt, schaffte es immerhin, bis 2013 ein Vermögen von über einer halben Milliarde Dollar anzuhäufen. Goldener Bohrer, nennt man das wohl!
"Der Weg der Ukraine in die EU ist ohne Alternative!" vollständig lesen