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"Die Kinder wuchsen bei einfacher Kost heran."

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Reinhard Mannesmann sen. heiratete erst mit vierzig Jahren. :Von seinem Besuch im Pfarrhaus von Großottersleben, dem Elternhaus der Braut, berichtete er am 13. Juli 1854: „... Ich wollte Euch hiermit die Anzeige machen, dass ich seit Pfingsten glücklicher Bräutigam bin. Da ich nur dem Zuge meines Herzens folgen konnte, so kann keine andere meine Braut sein, als Clara Rocholl von Ottersleben. Clara hat sich seit den letzten zwei Jahren sehr zu ihrem Vorteil gemacht, sie ist kräftig und gesund und von edlem gebildetem Geiste: Zudem erfuhr ich, dass sie mich seit er ersten Bekanntschaft vor vier Jahren sehr geliebt hat, ein Umstand, der hoffen lässt, dass unsere auf Gegenseitigkeit beruhende Liebe von unvergänglicher Dauer sein wird."

Der Vater der Braut war ein Mann gleichen Sinnes wie Reinhard. Pastor Rocholl hatte als Student die Vorlesungen von Hegel gehört, Er hatte im Hause von Neander verkehrt und war mit Schleiermacher befreundet. Das Pfarrhaus in Ottersleben war ein geistiger Mittelpunkt. Der Pastor war ein hervorragender Redner, der neben hohen Geistesgaben auch über beachtliche Körperkräfte verfügte. So wird von ihm erzählt, dass es in seiner Gemeinde keine Scheidung gab, denn er bestellte die streitenden Eheleute einzeln zu sich und verprügelte sie.

1854 zog Reinhard Mannesmann sen. mit seiner jungen Frau in das kleine Haus. Hier wurden Reinhard und Max und sieben ihrer Geschwister geboren. Petroleumlampen erhellten abends die Stuben. Das Trinkwasser nahm man aus dem Ziehbrunnen, und zum Waschen wurde das Regenwasser aufgefangen. Zum sonnabendlichen Bade wurden glühende Eisenblöcke auf eisernen Karren aus der nahen Fabrik ins Haus gebracht und zum Erhitzen des Wassers in die Wanne gelegt. Wenn die Blöcke erkalteten, überdeckte man sie mit Brettern, damit man im Bade sitzen konnte.

Die Kinder wuchsen bei einfacher Kost heran. Man lebte nach Punkt 4 der praktischen Winke des Vaters an seine Arbeiter: „Nicht zu vergessen, dass gute Gewohnheiten aus früher Jugend das ganze Leben durchhalten. Daher besonders auf Pünktlichkeit und Ordnung unnachsichtig halten, im Aufstehen, im Schlafengehen, im Betreten der Schule, im Anfertigen der Aufgaben, im Aufbewahren der Schul- und Spielsachen, wie der Kleider. Auch nicht dulden, dass eine angefangene Arbeit halbfertig liegenbleibe."

Die Ausbildung der Söhne war dank des preußischen Schulsystems eindeutig vorgezeichnet. Zunächst besuchten sie die Schule „zweiter Ordnung" in Remscheid und kamen dann in die Schule „erster Ordnung" nach Düsseldorf, um dort das Abitur zu machen. Sie wohnten bei einer Wirtin, die für die Jungen die gleichen Portionen kochte, wie für sich selber. Reinhard (jun.) wagte kein Wort darüber zu verlieren, dass sein Hunger größer war als der der alten Dame. In den Ferien mussten die Söhne in der Fabrik arbeiten, um alle Abteilungen „der fließenden Herstellung" kennen zu lernen.

Der Vater stand jeden Morgen um 6 Uhr auf und verlangte dasselbe von den Kindern, „öhm Reinhatt", wie ihn die Arbeiter nannten, war ein sparsamer Mann, dennoch zahlte die Firma Mannesmann die höchsten Löhne der Stadt, stellte aber auch die höchsten Anforderungen an die Arbeiter. Kam der „öhm" bei einem Meister vorbei, der den Stahl zu sehr geglüht hatte, sagte er verächtlich: „Sie hant kin Hatte im Lief." (Sie haben kein Herz im Leib) — Aus einem Haufen von Feilen zog er im Vorbeigehen die einzelnen misslungenen und legte sie dem Meister auf den Amboss. Er verlangte von seinen Söhnen, dass sie Feilen hauen konnten. Keiner von ihnen schlug seine 1000 Handschläge so scharf und sicher aneinandergereiht auf den glühenden Stab wie Max. Alle Probleme der Fabrikation, die die Alten langsam und folgerichtig lösten, erlebten die Jungen in ihren Anfängen mit. Schon frühzeitig lernten sie das verschiedene Material in all seinen Besonderheiten zu unterscheiden.

Alle Sorgen und täglichen Hindernisse, die der sich ständig vergrößernde Betrieb brachte, wurden mittags und abends in dem kleinen Haus besprochen. In der Mitte der sechziger Jahre hatte der Vater eine Lizenz zur Herstellung von Gewehrläufen erworben. Das Verfahren bewährte sich nicht. Krumme Gewehrläufe und andere missglückte Werkstücke lagen in einem der Fabrikhöfe. Da stand auch ein Walzapparat, nutzlos und ein ewiges Ärgernis; denn die Rundstäbe, die versuchsweise auf einem Dorn ausgewalzt worden waren, taugten nicht. Kam der Vater mit einem seiner Söhne daran vorbei, versäumte er nie zu sagen: „Das da müsst ihr einmal lösen."

1870 zog die Familie in ein großes, neuerbautes Haus in Remscheid-Bliedinghausen. Hier wurden das 10. und 11. Kind geboren. Reinhard sen. war so überzeugt von der kommenden technischen Entwicklung, dass er Anschlüsse für Gas und Wasser in das neue Haus legen ließ, obwohl noch keine Leitungen in der Stadt waren. Die Frage des Badezimmers wurde überraschend einfach gelöst: In einem kleinen Raum stand ein Schrank, der an drei Seiten mit Rohrschlangen versehen war. Die Rohre hatten kleine Spritzdüsen, und so war eine einfache Dusche hergestellt. Diese Dusche wurde aus einem Wasserbehälter im obersten Stock des Hauses gespeist. Reinhard jun. verließ 1874 sein Elternhaus, um in Hannover an der Technischen Hochschule zu studieren. Der Vater scheute sich nicht, entgegen dem Urteil seiner Zeit, seine sechs Söhne auf diese modernen und umstrittenen Lehranstalten zu schicken. (...)

Nachdem Reinhard jun. seine Examensarbeit geschrieben hatte, trat der Absolvent der Berliner Bergakademie als Angestellter in die Firma A. Mannesmann ein. Über seine Prüfungsarbeit wird noch 50

Jahre (in VDI-Band 66, 1922) später geschrieben: „1877 legte er als 21jähriger die berg- und hüttenmännische Prüfung auf der Bergakademie mit einer Arbeit über ‚Das Verhalten des reinen Kohlenstoffes zum reinen Eisen bei steigender Temperatur‘ ab. Diese Arbeit entschied die Frage. Ob die Wanderung des Kohlenstoffes in Eisen (z. B. im Hochofen) durch Gaskohlung oder durch Molekularwanderung vor sich gehe, zu Gunsten der Molekularwanderung. Seitdem ist diese Frage nie wieder wissenschaftlich bestritten worden. In der Arbeit wies Mannesmann zum ersten Mal nach, dass man jeden Kohlenstoffgehalt auf jede gewünschte Tiefe ins Eisen einführen kann. Durch diese Erkenntnis wurde die Grundlage zu der neuzeitlichen Herstellung der Panzerplatten gegeben, die außen glashart und innen weich sind. Die umfangreichen Unterlagen für die Arbeit befinden sich noch heute in der Ausstellung der Bergakademie Berlin."(aus dem Buch "Dokumente aus dem Leben der Erfinder" (Max und Reinhard Mannesmann), in dem der Bergische Geschichtsverein, Abt. Remscheid, angereichert durch zahlreiche Fotos, im Jahre 1964 ein Manuskript von Ruthilt Brandt-Mannesmann veröffentlichte, einer Tochter von Reinhard Mannesmann. Daraus zitiert der Waterbölles mit freundlicher Genehmigung des Geschichtsvereins.)


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