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Channel: Waterbölles - Geschichte
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"Lehrer von freier demokratisch politischer Gesinnung!"

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„Unserem Geschichts- und Mathematiklehrer an der höheren Bürgerschule, Carl Meunier, habe ich außerordentlich viel zu verdanken. Es war ein Mann von hohen Geistesgaben und von freier demokratisch politischer Gesinnung, weshalb er auch in den beschränkten Köpfen der hiesigen Machthaber keine Anerkennung gefunden hat. Er lehrte die Weltgeschichte in freiem Vortrag und zeigte, wie es immer die Junker und Pfaffen waren, die in ihrem eigensten egoistischen Interesse das Volk ausbeuteten, wie sie es geistig verkommen ließen, wie sie immer bestrebt waren, jeden freien Gedanken zu unterdrücken, wie sie die größten Geister durch Scheiterhaufen, Folter und Kerker für sich unschädlich zu machen suchten. Nach dem Untergange der hochentwickelten griechischen Kultur und der Gründung der christlichen Staatsreligion zeigt uns die Geschichte des Mittelalters einen blutigen Weg der Gewalt, dringt doch der Feuerschein des Scheiterhaufens fast bis in die neuere Zeit hinein.

Mit wahrer Begeisterung schilderte Meunier die Ideen, welche mit der großen französischen Revolution von 1789 ins Volk gedrungen waren, wie Freiheit, Brüderlichkeit und Menschenrechte proklamiert wurden, dann allerdings durch den Anarchismus entarteten und durch die Reaktion die alte Schranke wieder aufgebaut wurde. Wenn uns in den Mathematikstunden der Beweis für irgendeinen Lehrsatz fehlte und wir mit unserem natürlichen Verstande die Richtigkeit desselben ohne weiteres einsehen konnten, so sagten wir wohl: »Wir glauben, daß der Satz richtig ist.« Das ließ er aber nicht durchgehen, er sagte dann: »Du sollst nichts glauben, Du sollst es wissen.« Diesen Satz wollte er auf die ganze Wissenschaft angewendet haben, er sagte, in der ganzen Natur beruht alles auf Ursache und Wirkung. Mit dem Glauben erreichen wir nichts, wir müssen die Ursachen aller Erscheinungen kennenlernen, wir müssen wissen, warum das Ding so und nicht anders ist. Meunier war ein erfahrener und kluger Politiker, er verkehrte in den späteren Jahren mit mir in der Gesellschaft Union, so daß ich Gelegenheit hatte, seine politischen Anschauungen kennen zu lernen.

Als Bismarck im Jahre 1874 den Kulturkampf gegen die Ultramontanen einleitete, sagte Meunier eines abends: »Da fängt der Bismarck etwas an, da wird er nicht mit fertig, die Macht der Pfaffen über die Geister ist so groß, dass er keinen Erfolg haben wird.« Es war wirklich so, es dauerte gar nicht lange, da musste Bismarck den Weg nach Canossa einschlagen und die Macht der Ultramontanen war dadurch erst recht gewachsen. Meunier war wegen seiner freien politischen und religiösen Anschauungen bei unseren städtischen Machthabern, denen er nicht zu schmeicheln wusste, nicht beliebt. Wegen seiner Liebhaberei für schöne und seltene Pflanzen und dem Studium seiner Söhne konnte er mit seinem Gehalt nicht auskommen, er geriet in Verschuldung und hat dadurch in den letzten Jahren seines hiesigen Aufenthaltes viele Mühen und Sorgen gehabt, die auch bei seinem 25jährigen Jubiläum nicht behoben wurden, da er unter den Stadtverordneten seiner freien Weltanschauung wegen wenig Freunde hatte."(aus: „Albert Schmidt · Ein Leben in der Bergischen Kreisstadt Lennep“, herausgegeben von Wilhelm Richard Schmidt, Gießen und Frankfurt am Main im Jahre 2000)  


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