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Frantzen-Chronik (10): Ins alte Wohnhaus kam die Post

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von Carl Ferdinand Frantzen (1856 - 1938)

Heute, am 23. Juni 1900, wurde zu dem an der Freiheitstrasse zu errichtenden neuen Wohnhause der erste Stein gelegt. In Rücksicht darauf, dass meine Frau zur Erholung von einer längeren Krankheit mit meiner Tochter Luise und meinem Sohne Alfred in Münster am Stein sich aufhält, ist von einer förmlichen Feier und Grundsteinlegung abgesehen worden. Das dem letzteren, wie sonst üblich, ein zufügendes Schriftstück hat demnach auch nicht untergebracht werden können. Den Entwurf zu dem Bau hat der Architekt W. Fischer geliefert. Die Ausführung ist dem Bauunternehmer Wilh. Sassenhausen übertragen worden. Der Bau soll bis zum 1.Mai 1901 vertragsmäßig fertiggestellt sein. Der Kubikmeter Ziegelmauerwerk kostete 17.85 Mark. Die Gesamtbausumme soll 57.700 Mark nicht überschreiten.

Der Entschluss zum Neubau ist mir recht schwer geworden. Aber in Rücksicht auf die für die Zahl meiner Familienmitglieder beschränkten Schlafräume des jetzigen Wohnhauses, und da eine Vergrößerung desselben mit Bezug auf die Bestimmungen der jetzigen Baupolizeiverordnung sehr unzweckmäßig geworden wären, war der Neubau wohl das einzig Richtige. Zudem war der Platz, auf dem das neue Wohnhaus errichtet wird, eine Quelle steten Verdrusses, da er den Kindern von weit und breit als Spielplatz dient. Gott gebe, dass nur rechtschaffende Mitglieder unserer Familie lange, lange Zeit das Haus bewohnen. Ich beabsichtige das alte Haus in seinem jetzigen Zustand zu belassen und thunlichst an ordentliche Leute zu vermieten.

 Der Abschied von unserem bisherigen Hause am 9. Juli 1901 ist mir und meiner Frau recht nahe gegangen. Wir haben elf Jahre dort gewohnt und sind uns darin drei Kinder geboren. Ich selbst aber habe meine Jugend und weiter die besten Jahre meines Lebens darin zugebracht, ich habe darin im Verein mit meinem Vater 24 Jahre gearbeitet, und sind mir freudige und trübe Erin nerungen damit verwachsen. 83 Jahre hat unsere Familie darin gewohnt, gute und böse Zeiten hat sie darin gesehen, und es hat nicht viel gefehlt, dass es ihr im Anfang der vierziger Jahre auf Anordnung des Vormundschaftsgerichtes verkauft wurde. Der erhaltene Besitz ist aber nicht zum Wenigsten die Ursache des späteren Wohlergehens gewesen. Das alles ist Grund genug, der Behausung eine pietätsvolle Erinnerung zu bewahren. Was steht der Familie in dem neuen Hause bevor? Wird das Schlussergebnis nach weiteren 83 Jahren auch so erfreulich sein wie jetzt? Werden die Familienangehörigen ferner auch alle samt und sonders ihren Vorfahren Ehre machen und einen rechtschaffenden ehrbaren Lebenswandel führen? Gott gebe es! Wenn aber einmal wieder schlimme Zeiten für die Familie kommen sollten, so werden die Angehörigen alsdann hoffentlich in sich selbst die Kraft finden, um sie zu überwinden. Dazu aber mag ihnen die Erinnerung an die eben verlassene Wohnung und ihre Bewohner mit verhelfen.

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