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Die Röhren-Experimente machten die Nacht zum Tage

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Die Familie Mannesmann brachte jene glückliche Kombination von im Handel erworbener Finanzkraft und technischem Erfindergeist mit die zum Anstoß für den Ausbau der deutschen Eisenindustrie wurde. „Die Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts hat festgestellt, dass es neben einzelnen Hammerbesitzern hauptsächlich die Eisenhändler gewesen sind, „die bei Anbruch der neuen Zeit genügend Kapital besaßen, um die moderne Eisenindustrie aufzubauen. (...) Aber der erste Anstoß musste doch von technischen Fachmännern kommen. In Remscheid war es Mannesmann, der seit den 30er Jahren die Werkzeugfabrikation entwickelte", schreibt der Historiker Franz Schnabel über die Mannesmanns (Deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts 1950 2. Auflage. Freiburg Bd. 3-Erfahrungswissenschaft und Technik).

Die Historiographie hat die Mannesmann mit den Siemens verglichen, mit denen sie noch ein drittes für den Erfolg entscheidendes Moment gemeinsam hatten: die brüderliche Teamarbeit. (...) Die Gemeinschaft der Familie blieb unerschüttert, selbst als die an­deren zurückstehen mussten, weil der Vater nach beendigtem Studium der beiden Ältesten deren technische Versuche finanziell unterstutzte. So unterbrachen Alfred und Carl ihre Studien in Straßburg und Freiburg im Wintersemester 1884/85 und im Sommersemester 1885, um Reinhard und Max bei den Versuchen zu helfen. Nur Otto war als Jüngster nicht immer ganz einverstanden. Als man ihn fragte, ob er zum Geburtstag einen Kuchen haben wolle soll er geantwortet haben: „Ja, aber keinen Kartoffelkuchen".

Die Experimente, die am Ende zur Erfindung des nahtlosen Rohres führten, stellten die gewohnte Ordnung des Hauses Mannesmann auf den Kopf. Die Nacht wurde zum Tage gemacht. Ein Familienmitglied hatte den beiden Ältesten um Mitternacht warmes Essen in die Fabrik zu bringen, denn nur nachts konnte die Dampfmaschine für die Versuche laufen. Niemand sollte erfahren, welche Pläne Reinhard und Max verfolgten. Daher grenzten sie eine Ecke der Hammerschmiede mit einem undurchsichtigen Bretterzaun von dem übrigen Betrieb ab und öffneten die schmale Türe zum Versuchsraum nur für Eingeweihte. (...)

Diese Zeichnung ist noch heute als schematische Darstellung des Walzvorganges gültig. Der Rundstahl wird zwischen zwei konische Walzen gezwängt. Der Stahl weicht zwischen den sich in gleicher Richtung drehenden Walzen becherförmig nach innen. Diese Vertiefung wird beim Vorstoßen des Rundstahls durch die sich immer mehr verengenden Walzen zum sichtbaren Hohlraum, bis dieser Hohlraum am Ende des Stabes, wenn er die Walzen durchlaufen hat, zum Rohr wird. Dieses Rohr ist aber innen rau und das Produkt unbrauchbar. Zum Glätten der Innenfläche wurde deshalb ein Dorn eingeführt. Max Mannesmann äußerte sich zu dem Walzvorgang in einem Brief vom 16.3.1896: „Zur Erzielung eines verkaufsfähigen Produktes ist die egalisierende, glättende Arbeit des Domes im Inneren des entstehenden Rohres notwendig."

In Remscheid halfen nun auch Alfred und Carl, denn die Experimente erforderten Hilfskräfte. Diese mussten die Stäbe in der seitwärts stehenden Glut erwärmen. (...) Die Brüder arbeiteten ohne jede Schutzvorrichtung. Einmal war die lineare Führung des Stabes nicht eingeschaltet worden, und Reinhard, der den Stab aus der Nähe beobachtete, wäre von dem heißen Stahl getroffen worden, hätte sein Bruder Alfred nicht blitzartig geschaltet.

Der Übergang auf zwei Walzen war ein entscheidender Schritt, denn nur zwischen zwei Walzen kommt der Frimel-Effekt in der notwendigen Intensität zustande. So ergaben die Versuche bald eine Lockerung der gewalzten Stäbe im Kern. Aber bis man dahin kam, dass sich diese Lockerung zielsicher zu dem gewünschten Hohlraum erweiterte, war noch ein mühseliger Weg voller Enttäuschungen zu gehen. Es war schon schwierig festzustellen, bei welcher Form und Stellung der Walzen das innere Aufreißen des Stabes gelang. Außerdem war damals noch unbekannt, welch ausschlaggebende Bedeutung die Materialqualität der Stäbe auf das Hohlwerden hat. Häufig versagten die Walzversuche ohne erkennbaren Grund, und die Brüder tasteten sich von einer Etappe der Versuche zu der nächstfolgenden vor.

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